Vorwort zur ergänzten, erweiterten und illustrierten Fassung
Inzwischen schreiben wir das Jahr 2014 und seit dem Erscheinen der ersten Fassung sind unvorstellbare sieben Jahre vergangen. Wer noch diese (die erste Fassung) im Hinterkopf hat, wird schnell feststellen, dass die neue deutlich länger ist. Wegen der mir eigenen Faulheit, habe ich den ersten Teil nur ergänzt aber nicht groß verändert bzw. angepasst, so wiederholen sich einige Sätze aus diesem Vorwort. Darüber hinaus gibt es jetzt einen zweiten Teil, der den Zeitraum 1970 bis zur Zentralisierung im Jahr 1979 behandelt und die ganze Sache wird jetzt auch noch durch einen hinten angehängten Bildteil garniert. Also ruhig noch mal lesen bzw. Bilder angucken, falls eine diagnostizierte Leseschwäche vorliegt.
Die Fotos stammen von Kurt Abramowski, Karl- Heinz und Peter Dopp und von mir bzw. meinem „Archiv“.
Einige der Fotos sind von der Qualität nicht gerade toll. Das ist aber – ähnlich wie die Vergangenheit – nicht mehr zu ändern und um ein heutiges Modewort zu gebrauchen- „alternativlos“. Entweder man möchte einen Fotobeweis für das eine oder andere Ereignis dann muss man in diesem Punkt Abstriche machen, oder man fordert 1a- Qualität dann gibt es eben kein Bild. Wir (Kuddel und ich) haben uns für die Möglichkeit 1 entschieden.
Mit dem Bildteil ist das etwas schwierig. Er ist weitgehend chronologisch aufgebaut. Da dieses für den Text nicht durchweg zutrifft, muss man eben mal blättern. Also nicht gemault, sondern fleißig geblättert.
Die Ergänzungen ergaben sich im Wesentlichen daraus, das dem Einen oder Anderen in der Zwischenzeit noch etwas eingefallen und es mir gelungen ist, die eine oder andere Erinnerung aus dem einen oder anderen eingestaubten Winkel meines Gehirns hervorzukramen. Vor allem hat Kurt (Kuddel) Abramowski (von 1972 bis 1990 Häuptling des Fallschirmsports für die Bezirke Rostock, Schwerin und Neubrandenburg, s. Teil II) in seinem Bücherschrank oder Keller noch das eine oder andere Lehrheft der GST und andere Materialien gefunden, denen ich einige wertvolle Fakten entnehmen konnte.
Damit es mir nicht so geht wie z. B. unserem Ex-Verteidigungsminister – ich meine natürlich nicht den Armeegeneral Heinz Hoffmann sondern den Herrn von und zu Gutenberg – und wegen unberechtigter Verwendung fremden geistigen Eigentums angeschissen werde, weise ich an entsprechender Stelle auf den Verfasser hin. Ein richtiges Quellen-/ Literaturverzeichnis dranzuhängen, erschien mir zu formal. Insbesondere die Chronik von dem Bernd Ludewig ist sehr hilfreich, vor allem was die Zeit vor meiner Zeit im Fallschirmsport der GST betrifft, die ich also nicht selbst erlebt habe. Der Bernd Ludewig- nach eigenen Angaben Jahrgang 1950- war zwar damals auch nicht dabei, hatte als Adjutant/Assistent des langjährigen Chefs des Fallschirmsports beim Zentralvorstand Heinz Wolf (s. Teil II) aber Zugriff auf den dortigen Aktenbestand. Das wird also schon so stimmen, wie er das geschildert hat. Wörtlich oder sinngemäß übernommene Passagen sind durch Kursivschrift markiert, Anmerkungen/ Erläuterungen durch kleinere Schrift.
Auch die Überschrift musste sich ändern. Nach mehr als 10 Jahren ist man wohl schon über die Anfänge hinaus, da kann oder muss man dann schon von Entwicklung sprechen.
Der in Klammern gesetzte Untertitel ist sowohl als Warnung als auch als Erklärung gedacht und außerdem eigentlich falsch, denn ein Veteran (lateinisch: veteranus) war im alten Rom ein langgedienter aber ausgemusterter Legionär. Der saß vor der Kneipe (lat.: taberna), soff und erzählte den staunenden Nachbarn, was für ein toller Kerl er war und wie er unter Cäsars Kommando Anno dunnemals in Gallien Asterix und Obelix unter die Schneedecke gesoffen hatte. Das mit dem Erzählen trifft auch auf mich zu, mit dem Saufen nur bedingt, jedoch hat man vergessen, mich auszumustern bzw. ich habe vergessen es selbst zu tun. So schmücke ich mich eigentlich mit fremden Federn. Seht mir das bitte nach.
Das mit der Warnung ist so zu verstehen: Wie der Veteran im alten Rom berichte ich auf den folgenden Seiten von meinen persönlichen Erlebnissen, von dem was andere Beteiligte erzählten und natürlich auch von dem, was man so sagte, also dem Buschfunk. Es ist also im Wesentlichen mein Blick auf die Vergangenheit, deshalb sehr persönlich, vor allem was die Schlussfolgerungen betrifft, auch wenn ich um Objektivität bemüht bin. Die Fakten sind so genau wie möglich recherchiert, Fehler aber trotzdem möglich. Nobody is perfect.
Hier nun eine letzte Warnung: Wem das alles nicht passt, hört jetzt auf zu lesen und verbringt seine Zeit sinnvoller. Weiterlesen und hinterher meckern gibt es nicht. Überschwängliches Lob wird allerdings gerne entgegen genommen.
Für den/die interessierten Rest geht es jetzt los!
Teil I Die frühen Jahre (1958 bis 1969)
Das obligatorische Vorwort
Als ich mich Anfang September (gemeint ist das Jahr 2007) in Neustadt mit Kuddel und Axel über das diesjährige Treffen unterhielt, entstand die Idee, etwas über den Fallschirmsport in den damaligen Nordbezirken zu schreiben. Diese Aufgabe fiel naturgemäß mir, als einem den wenigen noch lebenden Zeitzeugen zu, besonders was die Zeit vor etwa 1970 betrifft. Außerdem war das Schreiben von irgendwelchen Berichten in den fast 45 Jahren meiner beruflichen Tätigkeit als Geologe und am Schluss als Sesseldrücker in der Umweltverwaltung mein Job. Es gab für mich noch einen weiteren Grund: Zu Hause wird jeder Versuch, eine meiner zahlreichen Storys anzubringen, durch allgemeinen Protest der Familie gnadenlos abgewürgt. Hier kann ich mich mal so richtig auslassen.
Allerdings wusste ich nicht, worauf ich mich damit einlasse. Der Schriftsteller Siegfried Lenz beschreibt in seinen „Masurischen Geschichten“, wie sein Großvater sich im Alter von 60 Jahren selbst das Lesen beibrachte und daraufhin vom Leseteufel gepackt wurde. Er musste immer und überall lesen. Mich packte der Bruder des Leseteufels, der Schreibeteufel. Seit rund zwei Wochen vernachlässige ich nicht nur mich sondern auch meine Frau und wichtige Pflichten. Es ist nicht so, dass mir nichts einfällt, vielmehr kann ich nicht aufhören. Es ist wie Durchfall.
Mit der Erinnerung ist das so eine Sache. Oft kann man nicht mehr zwischen dem unterscheiden, was man selbst erlebt hat und dem was einem nur häufig erzählt wurde, Dichtung und Wahrheit gehen unmerklich ineinander über. Abhilfe schafft die Beschränkung auf durch Quellen gesicherte Informationen. Allerdings ist das in diesem Fall schwierig, weil ich außer meinem- manchmal doch schon löcherigen- Gedächtnis nur auf mein Sprungbuch und einige wenige Fotos aus der „Steinzeit“ des Fallschirmsprungs in den damaligen Nordbezirken zurückgreifen kann. Was folgt ist also keine Chronik im wissenschaftlichen Sinne, aber eben deshalb vielleicht etwas unterhaltsamer.
Die eingestreuten Geschichten sind sogar wahr, das heißt sie haben sich so oder so ähnlich tatsächlich zugetragen. Mein Ehrenwort ist wohl nicht nötig, Ihr kennt mich als ehrliche Haut. Außerdem sind Springer von Natur aus wahrhaftiger als solche notorischen Lügner und Aufschneider wie Angler und Jäger.
Es liegt in der menschlichen Natur, im Alter die Vergangenheit und sich selbst zu heroisieren. Diesen Fehler hoffe ich weitgehend zu vermeiden; kleine Ausrutscher muss man mir gnädig nachsehen. Ich versuche einfach einigermaßen chronologisch und objektiv über meine Erlebnisse und Erfahrungen als Aktiver zu berichten, daraus ergibt sich dann –so zusagen als Nebenprodukt- ein sicher unvollständiger dazu sehr persönlich eingefärbter Bericht die Entwicklung unserer Sportart in ihren Anfangsjahren.
Die nachfolgenden Zeilen richten sich eigentlich an den Kenner der Szene. Für Leute, die zur Springerei keine Beziehungen haben bzw. einfach nur zu jung sind, habe ich zum besseren Verständnis Erläuterungen/ Anmerkungen eingeschoben, die für den Eingeweihten natürlich überflüssig sind. Der weiß wovon die Rede ist. Dem potentiellen Leserkreis ist auch die manchmal etwas burschikose Sprache geschuldet, die sich einfach dem Umgangston auf so einem Flugplatz anpasst.
Dem Literaturkenner wird außerdem auffallen, das der Titel irgendwie geklaut ist und zwar bei Michael Sostschenko: „Die Kuh im Propeller“. Das ist Absicht. Es wäre toll, wenn meine Erinnerungen ähnliche Heiterkeit hervorrufen würden wie diese meisterhafte Kurzgeschichte, vielleicht der besten zum Thema „Flugwesen“ überhaupt.
Sicher wäre die Illustration durch Bildmaterial wünschenswert. Aber ich besitze nur wenige Fotos aus dieser Zeit. Außerdem brauchte man für Luftaufnahmen bzw. Aufnahmen in der Luft eine Sondergenehmigung, die man nie bekommen hätte. Und meistens ist in den wirklich schönen Momenten ohnehin keine Kamera zur Hand. Zeitlich hätte ich es aber auch nicht geschafft.
Gedacht ist es so, dass diese Schrift am 29. (gemeint ist der 29.09.2007) quasi als Entwurf verteilt bzw. auf die Internetseite des Neustädter Vereins gestellt wird. Wer seinem Gedächtnis (oder auch seinem Bildarchiv) noch die eine oder andere Erinnerung entlocken kann, ebenso wer sich nicht richtig dargestellt sieht oder offensichtliche Fehler findet, meine Adresse steht oben. Es wird dann eine verbesserte Fassung geben. Ergänzungen, Korrekturen und Richtigstellungen werden dann als Zitate eingefügt werden. Vervollständigt durch einen zweiten Teil, den Kurt für seine Amtszeit beisteuern will, könnte das Ganze dann zu einer kleinen ggf. illustrierten Broschüre für den internen Gebrauch zusammengefasst werden.
Berichtet wird ausschließlich über das Fallschirmspringen im Rahmen der GST. Was die NVA und die Iwans auf diesem Gebiet trieben, bleibt unberücksichtigt, ebenso was vor dem Krieg auf diesem passiert ist.
Das soll’s nun aber mit der Vorrede sein, kommen wir zur Sache.
Kapitel 1: Vorgeschichte
Jede Geschichte hat ihre Vorgeschichte. Gehen wir einfach zum Anfang meiner Geschichte zurück. Irgendwie beginnt diese schon im Sommer 1956. Ich war 16 Jahre alt, ging in Kühlungsborn zur Oberschule, war Flugmodellbauer und in Anklam fanden die DDR- Meisterschaften statt. Welchen der hinteren Plätze ich damals belegte, weiß ich heute nicht mehr. Woran ich mich aber noch gut erinnere, ist meine erste (allerdings flüchtige) Berührung mit dem Fallschirmsport. Und das kam so: Im Rahmenprogramm wollte sich ein Wahnsinniger mit dem Fallschirm aus einem Flugzeug namens PO- 2 (gesprochen PODWA) stürzen (Bild 1). (Dieser Wahnsinnige war Udo Varchmin, von dem später noch die Rede sein wird). Er packte vor den staunenden Modellbauern seinen Schirm. Das war’s dann aber auch- der Wind war zu stark. Wie man so sagt: „Außer Spesen nichts gewesen“, anderseits auch eine Lehre für das spätere Springerleben: Fallschirmspringen findet nun mal nicht im Saal statt und ein paar Meter Wind zu viel oder etwas tief hängende Wolken können einem schon den schönsten Sprungtag versauen.Statt Flugmodelle zu bauen, wäre ich lieber selbst geflogen, vor allem nachdem ich als Preis für meinen Bezirksmeistertitel!!1956 in der Klasse A 1 einen Mitflug im Doppelsitzer über Purkshof gewonnen hatte. Aber von Kühlungsborn aus war das schlecht zu machen von wegen fehlendem Fahrgeld, ungünstiger Zugverbindung usw. So musste es erst mal bei dem Wunsch bleiben.
Das hätte sich im Jahr 1958 ändern können. Ich hatte inzwischen mein Abitur gemacht und war seit Sommer bei der Fahne und zwar in der Flugsicherungskompanie des FTB (was soviel heißt wie: Fliegertechnisches Bataillon) 2 in Drewitz (liegt zwischen Guben und Cottbus). Dort gab es einen Segelflugverein. Der war aber leider voll. Absolute Anfänger wie mich nahm man nicht. Also war es wieder nichts mit der Fliegerei. Aber es gab auch einen Fallschirmsportverein, womit ich nun endlich beim eigentlichen Beginn meiner Geschichte bin(Bild 2).(Hier noch eine kurze Anmerkung zum „freiwilligen“ Dienst in der NVA, denn die Wehrpflicht kam erst 1961 nach dem Mauerbau: Die Sache war ganz einfach. Wer wie ich, dass Abitur gemacht hatte und studieren wollte, hatte keine Alternative. Entweder man ging zur Fahne oder man bekam von der Schule eine so schlechte Beurteilung, dass die Uni einen ablehnen musste. Allerdings hätte man damals noch nach dem Westen abhauen können. Aber dazu war man irgendwie zu bodenständig und wohl auch nicht abenteuerlustig genug)
Kapitel 2: ASG Vorwärts Drewitz, Sektion Fallschirmsport
In Drewitz hatte man- meines Wissens zum ersten und einzigen Mal in der NVA- im Rahmen der ASG (Armeesportgemeinschaft) einen Fallschirmsportverein gegründet. Ende 1958 begann die theoretische Ausbildung durch Leute vom Fallschirmdienst (Uffz. Gottschalk, Feldwebel. Pfahl u. a.). Wir waren so etwa zwanzig Anfänger. Einer von diesen war auch der spätere Chef des Fallschirmdienstes der Luftstreitkräfte (oder der NVA?) Elsner oder Elstner, damals noch Flugzeugmechaniker und Feldwebel, vielleicht auch nur Unterfeldwebel. Die Ausbildung, vor allem im Packen, war mehr als gründlich. Am Schluss konnten wir den PD 47 mit verbundenen Augen, bandagierten Händen und gefesselten Beinen zusammenwürfeln.
Dann, nach etwa 6 Monaten war es endlich so weit: Für den 24.05.1959 war der erste Sprungtag angesetzt und zwar auf dem Flugplatz Bronkow in der Nähe von Calau. Es war in jeder Beziehung ein Traumtag. Die Sonne lachte, der Wind war unter 5m/s, die AN- 2 der Division einsatzbereit und die Jungs nicht mehr zu halten, auch wenn die Hosen flatterten. Am Ende des Tages fuhren alle mit breiter Brust wieder nach Drewitz zurück, Es war so wie in dem Brief des Studenten an seine Oma („Liebe Oma, gestern wusste ich noch nicht wie Inscheniör geschrieben wird, heute bin ich schon selber einer:“).
Dabei war der erste Sprung für damalige Verhältnisse insofern etwas außergewöhnlich, als teilweise gleich mit manueller Öffnung gesprungen werden musste. Der Grund: Es gab nicht genug Aufzugsleinen. Deshalb bekamen einige (darunter war auch ich) einen Automaten verpasst, dieser wurde auf größere Höhe gestellt und los ging’s. Natürlich zog der KAP.
Absetzer war übrigens der später auch in GST- Springerkreisen bekannte Stabsfeldwebel Regell.
Es gab auch einen weiteren Grund zur Freude an diesem Tag, allerdings war es eher Schadenfreunde. Chef des Fallschirmdienstes in Drewitz war zu jener Zeit ein gewisser Hauptmann Ludwig, ein außergewöhnlich kleiner und leichter Mensch, was man bei einem Stockmaß von unter eins sechzig und knapp sechzig Kilo wohl zu Recht sagen kann. Das hielt ihn aber nicht davon ab, mit einem D 1 zu springen. Der Kenner weiß, dass es sich dabei um einen runden sowjetischen Luftlandeschirm mit gigantischen 81 m² handelte. Mit diesem hatte er sozusagen ein Abonnement auf Außenlandungen. Die Unteroffiziere des Fallschirmdienstes feixten natürlich, als ihr Chef- sonst ein ziemlicher Giftzwerg- sich in den umgebenden Wald nieder senkte. Die hatten in der Bergung schon Routine, da auf 10 Sprüngen mindestens 8 Außenlandungen kamen.
Im Jahr 1959 folgten für mich dann noch weitere 3 Sprünge, so dass ich im Sommer des folgenden Jahres mit stolzen 4 Sprüngen entlassen wurde, einer damals durchaus beachtlichen Sprungzahl (Bild 3).Noch ein kleiner Nachtrag: Im meiner Kompanie diente damals auch Hannes Stübner, auch „Stubenrauch“ genannt, der rund 10 Jahre später wieder in diesem Bericht erscheint, außerdem Rüdiger Karisch, ein in Neustadt und Parchim bekannter Segelflieger.
Kapitel 3: Die frühen 60er- Jahren (Udo Varchmin/Purkshof)
Als ich mich im Herbst 1960, nach Beginn meines Geologie- Studiums in Rostock, beim damaligen Oberinstrukteur Fallschirmsport für die Nordbezirke, eben dem o. g. Udo Varchmin meldete, war dieser deshalb ganz angetan, einen so „routinierten“ Zuwachs zu bekommen.
Zu der Zeit vor 1960 im Norden kann ich deshalb keine Angaben machen, die auf eigener Anschauung beruhen. Die „Alten“ erzählten von irgendeinem Ausflug nach Laucha, wo sie in den angrenzenden Weinbergen bei Freyburg an der Unstrut gelandet waren, ebenso von Sprüngen in Neustadt- Glewe. Wer, wo und wann nun die allerersten Sprünge im Norden machte, weiß ich nicht, gemeint ist natürlich die Zeit nach 1945. Vielleicht schafft ja der Rücklauf hier mehr Klarheit, ich habe nämlich vor, den Entwurf auch an die Überlebenden aus diesen frühen Tagen zu versenden.
(Anm.: Die Hoffnung auf einen in diesem Punkt ergiebigen Rücklauf erfüllte sich leider nicht. Allerdings schafft hier die bereits lobend erwähnte Chronik von dem Bernd LUDEWIG Klarheit, was die Entwicklung des Fallschirmspringens in der GST in jenen frühen Jahren betrifft. Danach lief die Sache folgendermaßen: Bei Gründung der Gesellschaft für Sport und Technik im Jahr 1953 kam es auch zur Bildung von Fallschirmsportsektionen in den meisten Bezirken. Bis 1956 beschäftigen diese sich- mangels entsprechender technischer Ausstattung in Gestalt von Fliegern- sozusagen mit „Trockenschwimmen“ d. h. Theorie, Fallschirmpacken und Sprüngen vom Turm. 1954/55 hatte man insgesamt 11 Fallschirmsprungtürme gebaut, von denen der in Halle mit 53m der höchste war. Von denen sprang man nicht wirklich, sondern man wurde abgeseilt. Ich habe die Sache mit den Türmen irgendwie vergessen, da ich von so einem Ding nie springen musste. Zwar waren wir von Drewitz aus zur Sprungvorbereitung mal nach Cottbus gefahren, wo so ein Monstrum stand. Weil aber der Heini von der GST, der den Schlüssel bringen sollte, einfach nicht erschien, zogen wir unverrichteter Dinge wieder ab. Aber zurück zur Geschichte. Die Sache änderte sich im Juni/Juli 1956, als der bereits erwähnte Marjutkin- Lehrgang in Neuhausen bei Cottbus lief. Gesprungen wurde aus einer Li- 2 der DOOSAF (sowj. GST). Insgesamt wurden 16 Fallschirmsprunglehrer ausgebildet, die sich damals- wie bei den Iwans üblich- noch Instrukteure nannten. Lt. LUDEWIG bekam die GST 1957 eigene Technik in Gestalt von 2 PO- 2 und 10 Sprungausrüstungen, 1958 noch mal 2 Antonow und 150 PD nebst 50 PZ. Bei diesem Stand bin ich dann 1960 in Rostock/Purkshof eingestiegen).
Udo Varchmin- übrigens nach mir vorliegenden, verlässlichen Informationen in diesem Jahr (gemeint ist natürlich wieder 2007) verstorben- war damals (1960) schon im fortgeschritten Alter, zu mindestens aus der Sicht eines Zwanzigjährigen. Tatsächlich war er höchstens Mitte vierzig, war also wie auch andere ältere Kameraden schon bei der Wehrmacht gesprungen und in Italien im Einsatz gewesen. Nach dem Krieg nahm er an dem o. g. Mariutkin- Lehrgang teil, den man getrost als Geburtsstunde des Fallschirmsports in der DDR bezeichnen kann. Der müsste irgendwann 1955/56 gewesen sein. Die Teilnehmer dieses Lehrgangs waren es, die teilweise bis zur Wende, in der Springerei das Sagen hatten, sowohl bei der GST, als auch bei Dynamo. Auf die Schnelle fallen mir folgende Namen ein: Günther Schmitt (etwa 1965 nach Unfall mit Beinverkürzung aufgehört, danach Luftfahrtjournalist und Buchautor), Günther Schmidt (Dynamo- Chef), Manfred („Katze“) Schmidt (zeitweise OI Magdeburg), Emil Schmidt (OI Berlin), Egon Schmidt (Dresden), Udo Varchmin (s. o.), Vinzenz Przcybichyn oder so (OI Karl- Marx- Stadt), Morosowski, Vorname? (Wismut), Waltraut Schäfer (Berlin?), Walter Stiller (OI Cottbus), Heinz Bibow (Berlin) und Horst Brendel, der ab etwa 1960 Chef des Fallschirmsports der GST war. Dass die Namen in jedem Fall, allein schon bei den zahlreichen Schmidts, richtig geschrieben sind, kann ich nicht garantieren.
Für den Außenstehenden schien der damalige DDR- Fallschirmsport ohnehin ein Familienunternehmen eben dieser Schmidts zu sein, wobei die tatsächlich wohl weder verwandt noch verschwägert waren. So soll es mal zu folgendem Missverständnis gekommen sein: Eine Delegation aus einem „sozialistischen Bruderland“ kam nach Schönhagen (Zentrale Flugsportschule der GST) und wurde von der Schulleitung einschließlich der Sprunglehrer empfangen. Der Erste stellte sich zackig mit „Schmidt“ vor, ebenso der Zweite und der Dritte. Die Delegation, der Meinung, dass es sich um einen Gruß wie z. B. „Sport frei“ handelte, soll mit einem dreifachen „Schmidt- Schmidt- Schmidt“ geantwortet haben.
)Fallschirmtechnisch war das die Zeit des PD-47 („quadratisch, praktisch, gut“). Man schwebte an 72 m² dünnem Baumwollstoff und Fangleinen so dick, wie der kleine Finger der Erde entgegen (noch mal Bild 1). Mit etwa 1,5 m/s Vortrieb hatte man die Illusion, steuern zu können, was bei Windgeschwindigkeiten unter 5 m/s sogar irgendwie funktionierte. Das mit dem Steuern funktionierte so: Hinten war der Abstand der inneren Fangleinen größer und der Basisrand wölbte sich dort auf, so dass die gestaute Luft vor allem nach hinten abfloss und so den Vortrieb erzeugte. Mit Ersatzgerät (PZ- 47, quadratisch oder Ps 41a, rund) wog die ganze Fuhre runde 25 Kilo und war auch entsprechend groß, bei kleingewachsenen Springern besonders Springerinnen reichte der Verpackungssack schon mal von den Kniekehlen bis oberhalb der Ohren. Die 1960/61 im Einsatz befindlichen Schirme stammten meist noch aus SU- Produktion. Allerdings waren sie knapp (s.o.), so kamen in der Anfängerausbildung häufig zwei Mann auf einen Schirm, ein Grund mehr für bescheidene Zuwächse bei den Sprungzahlen.
Dass man mit dem PD- 47 auch richtig gute Zielsprünge hinlegen konnte, bewies ein Anfänger 1961 in Purkshof. Er hieß m. E. Flörke oder ähnlich und kam aus Wismar. Auf dem Platz lag damals ziemlich mittig ein Soll, also ein eiszeitlich entstandenes wassergefülltes Loch von ca. 20m Durchmesser. Beim ersten Sprung an diesem Tag traf er nur dessen Rand, beim nachfolgenden die Mitte. Wahrscheinlich hatte er mehrfach zwischen Plan A (ich lande vorher) und Plan B (ich komm noch rüber) mehrfach gewechselt und sich so perfekt in das Loch hineinmanövriert. Einfach an der Seite vorbeizufahren, war ihm offenbar nicht in den Sinn gekommen. Die Sache war nicht ohne, weil man das Soll illegal für die Deponierung von Schrott genutzt hatte und deshalb Verletzungsgefahr bestand. Aber schließlich blieb es bei nassen Hosen (s. auch Bilder 9 bis 11).
Nicht so glatt lief die Sache für einen sowjetischen Jagdflieger vom nahegelegenen Flugplatz Pütnitz bei Damgarten der sich in jenem Jahr über Purkshof katapultieren musste. Die MIG -17 kam mit qualmendem und röchelndem Treibwerk in geringer Höhe über dem Platz an, als der Genosse den Schleudersitz betätigte. Er fegte raus und landete nahe unserer Packzone. Leider war er mit den Knien wohl an der Windschutzscheibe hängengeblieben- bei den damaligen Schleudersitzen wurden bei Betätigung die Beine noch nicht fixiert- und hatte sich beide Oberschenkelknochen eine Handbreit oberhalb des Knies durchgeschlagen. Er hatte große Schmerzen. Aber bevor wir etwas unternehmen konnten, war schon der Hubschrauber aus Pütnitz da und sackte ihn ein.
Neben dem PD-47 gab es schon die ersten reinen Sportschirme, mit dem sowjetischen T- 2 (ein Schlitz, Vortrieb vielleicht schon 3m/s), wohl den ersten überhaupt. Die waren aber für die Hauptamtlichen und Lehrer reserviert, als Anfänger durfte man sie nur von weitem bewundern. Der PD- 47- dann allerdings aus DDR- Produktion- war noch bis etwa 1967 im Einsatz und damit über rund 10 Jahre der Schülerschirm, er wurde vom RL- 4/3c abgelöst.
Witzig war auch das damalige Ausbildungsprogramm mit seinen zahlreichen Sprüngen aus größerer Höhe und sofortiger Öffnung (bis 2000m). Mit dem PD- 47 hatte man dabei eine reelle Chance am Erdball vorbei zu springen. Zwar wurde viel Mühe auf die Bestimmung der Abdrift gelegt (Testschirm, manchmal auch Testspringer), aber wegen des schwer zu kalkulierenden Höhenwindes (Theodolit und Pilotballon wurden bei besonderen Anlässen wie Flugtagen verwendet, wie man später sehen bzw. lesen wird, teilweise mit überraschenden Ergebnissen/Folgen) ging das jedoch häufig in die Hose. Kaum hing man am Schirm, schon war man „ritsch- ratsch“, wie der Genosse Kossonsow in der o. g. Geschichte von der Kuh im Propeller richtig sagte, über dem Platz und dann hieß es:“ Lieb Heimatlande ade“. Deshalb wurde bei jedem Sprung auch die Tragetasche gefaltet unter dem Ersatzgerät mitgeführt. Ich erinnere mich besonders in Purkshof und Güstrow an herrliche Überlandflüge. Der Rückmarsch war dann allerdings etwas schweißtreibend. Zurückholen mittels LKW gab es nur, wenn die ganze Truppe draußen lag. Für den Einzelspringer wurde- da man von eigener Blödheit und stabilen Knochen ausging - der LO (damals wohl eher noch Phänö) selten angeschmissen. Deshalb erwarb man mit der Lizenz gleichzeitig auch das Abzeichen für Wandern und Touristik. (Ist natürlich ein Scherz).
Die Grundausbildung umfasste damals 5 Strippensprünge. Mit dem 10. Hüpfer begann die Freifallausbildung, erst mal mit 5X „Kopflage“ 5 und 10“ d.h.: Arme ran und Beine auseinander. Danach kamen die sogenannten Stilsprünge worunter die Normallage zu verstehen ist. Bei den ersten Verzögerungssprüngen musste die Sekunden noch abgezählt werden. Eine Stoppuhr gab es erst später. Die Sprunghöhen waren der gewünschten Freifallzeit angepasst, die Öffnungshöhe lag bei 600m (800m=5“, 1000m=10“, 2000m=30“ usw.). Gesprungen wurde mit KAP-3 (s. auch Bild 29).
Was heute der CYPRES ist war früher der KAP-3. Der wirkte aber auf das Hauptgerät. Das Ding bestand aus einer Druckdose, einem Zeitlaufwerk und einer starken Feder. Bei Erreichen der eingestellten Öffnungshöhe (möglich waren 0 bis 4000m) lief das Laufwerk an und nach 3“ zog die Feder am obersten Stift des Aufzugseils. Bei einem normalen Verzögerungssprung mit gewünschter Öffnungshöhe von 600m ließ man aber das Laufwerk bis auf 0,8“ ablaufen. Blockiert wurde die ganze Mimik durch einen elastischen Stift, der an einer kurzen Leine mit kleinem Karabinerhaken hing. Mit der hängte man sich – wie üblich- in 200m- oben ein. Beim Abgang/Exit zog sich das Ding raus, die Uhr lief bis auf 0,8“ ab, in der eingestellten Öffnungshöhe (in der Regel wie gesagt 600m) gab ein Stift auf der Druckdose einen Hebel frei, die restliche Zeit lief ab und der KAP zog. Im Normalfall hörte man das Schnappen, wenn man gerade am offenen Schirm hing. Hatte man eine Öffnungshöhe einstellte, die über der Absprunghöhe lag, zog das Ding nach 3“ und man hing in großer Höhe und hatte die berechtigte Aussicht auf eine Außenlandung. Diese Möglichkeit wurde gelegentlich genutzt, um jemand zu ärgern. Von so einem Fall ist später noch die Rede.
Für die Lizenz benötigte man wie heute min. 25 Sprünge. Wegen der kurzen Freifallzeiten, war das Erlernen einer stabilen Lage ein schwieriges Geschäft, da nach einem verkackten Abgang/Exit meist nicht mehr viel zu korrigieren war. Einige Bewegungsidioten brauchten eine Menge Sprünge um das richtige Gefühl für Luft zu entwickeln. Und soll ich euch etwas verraten: Ich gehörte auch dazu d. h. es hat mich einige Male tüchtig gebeutelt. Da sind heute die Schüler mit dem AFF viel besser dran.
Es war wie gesagt, die Zeit der spektakulären Außenlandungen. Einige Beispiele: In Güstrow wohnte am Platz ein leicht asozialer Kleintierhalter und zwar in dem barackenartigen Gebäude zwischen Halle und Straße. Sogar in dessen engem Hühnerhof von gerade mal 5x5m landete eine mir namentlich nicht mehr bekannte Sprungschülerin und zwar ohne Material-, Geflügel- und Personenschaden, ein reife Leistung. Zur Belohnung machen wir sie sozusagen zur namenlosen Heldin unserer Geschichte. Ein paar hundert Meter in Richtung Osten lag bzw. liegt noch? ein Gehöft. Das visierte eine weitere Sprungschülerin an (keine antifeministische Propaganda sondern einfach Zufall). Was sie traf, war die Hundehütte. Der darin schlummernde Köter dachte wohl, dass die Russen kommen, flitzte raus, riss dabei die Kette durch und attackierte sie anschließend. Aber schließlich ging auch das ohne Schäden ab.
Ein Höhepunkt waren auch die so genannten „Sprünge aus Flugfiguren“ und bei erhöhter Geschwindigkeit, über deren Sinn ich mir immer noch nicht im Klaren bin. (Evtl. wollte man das Verlassen der Maschine in Notsituationen trainieren?). Beim Sprung aus dem Sturzflug war man für einen Moment fast schwerelos und klebte unter der Decke. Es war lustig anzusehen wie der Absetzer, der sich in der Tür festgeklemmt hatte, die Springer einzeln von der Decke holte und nach draußen schob. Beim Abfangen kracht alles was dann noch nicht draußen war mit Getöse von der Decke. Das Gegenteil war beim Sprung aus Kurve und Spirale der Fall. Wegen der höheren Schwerkraft hatten alle lange Gesichter, saßen auf dem Arsch und versuchten krampfhaft über die Türschwelle zu kommen, was große Anstrengung erforderte. Hat man das mal erlebt, ist man nicht scharf darauf im Notfall z. B. bei trudelnder Maschine springen zu müssen. Das könnte auch schnell auch mal schief gehen. Bei den Geschwindigkeitssprüngen aus 400m flog die Anna (liebevolle Bezeichnung für die AN- 2) wirklich volle Pulle, d.h. 250 km/h.
Mein erster Lehrgang bei der GST war allerdings- im wahrsten Sinne des Wortes- ein Schlag ins Wasser. Im November 1960 kam die An- 2 nach Purkshof. Außer Regen und einem Krawallsprung der Experten bei Windgeschwindigkeiten von 10 bis 15 m/s war nichts. So zogen wir Anfänger nach einer Woche ohne Sprung ab. Dafür hatten wir uns im Zelt auf Stroh und einer Decke pro Nase den Arsch abgefroren, außerdem eine Woche den Frass von Frau xxxx (keine Namen, Frau des Hausmeisters) reingewürgt. (Anm.: Die Verhältnisse waren damals was die Unterkünfte betraf- gemessen auch an denen später in Neustadt- doch sehr spartanisch. „Verpflegungsmässig“ war das auch nicht toll, da nach der Kollektivierungsaktion in Winter 1959/60 die DDR- Landwirtschaft ziemlich auf der Schnauze lag und deshalb der Brotkorb hoch hing. Außerdem war die Frau xxxx wirklich eine saumäßige Köchin!!! Aber das wurde- als unvermeidbar- klaglos ertragen, denn schließlich wollte man ja springen. Alles andere war Nebensache).
Auch bei dieser Gelegenheit gab es einen Riesenlacher und das kam so: Nach dem durchweg schlechten Wetter des Herbstes 1960 stand der Platz in Purkshof teilweise unter Wasser, insbesondere die SW- Ecke beim Objekt war eine riesige Pfütze. Auf diese wies Udo Varchmin vor dem bewussten Sprung (s. o.) die anderen Springer bei der Einweisung (heute würde man sagen „Briefing“) besonders hin. Derartige Windgeschwindigkeiten (s.o.) waren am PD- 47 schon eine heiße Kiste, da hatte man sozusagen die Krankenhauseinweisung bereits am Start in der Tasche- Und wie es im Leben so spielt, der Einzige der die Pfütze traf war „uns Udo“. Er schlug am Anfang ein und durchquerte den Tümpel am offenen Schirm in voller Breite mit herrlicher Bugwelle. Das war wahrscheinlich die Geburtstunde des Kitesurfens. Fröhliches Grinsen auf den Gesichtern der Umstehenden, offen zu lachen haben wir uns nicht getraut, denn ein Oberinstrukteur, doppelt so alt wie man selbst und einer unvorstellbaren Sprungzahl (s. o.) war schon eine Respektsperson, da ging man zum laut Lachen vorsichtshalber hinter den Schornstein.
Die eben vergatterten Springer verteilten sich in den dahinter liegenden Kartoffel- und Getreidefeldern, besonders gut zu erkennen, wenn bei Einschlag eines Springers die damals üblichen Getreidegarben hoch in die Luft wirbelten (Mähdrescher waren noch selten).
Die Anfänger, eine Truppe von vielleicht 30 bis 40 Mann (und auch Frau), war aus dem ganzen Norden bunt zusammengewürfelt. So kamen auch vier Mann aus meinem Heimatort Kühlungsborn (Kolle Rütgard, Knut Wiek, der kleine Grüschow und Peter Diemer) die aber eh keiner mehr kennt (Bild 5). Die reguläre „vormilitärische“ Ausbildung d. h. die Vorbereitung auf den Dienst bei Fallschirmjägern und Fallschirmdienst gab es in der späteren Form damals noch nicht. Der ganze Laden war völlig unmilitärisch, die Anfänger sprangen in Arbeitskombis oder den komischen zweiteiligen, khakifarbenen GST- Unformen, meist in einfachen Arbeitsschuhen. Die bekannten hellblauen Sprungkombis und die „richtigen“ Sprungschuhe waren Lehrern und sonstigen Halbgöttern vorbehalten. Dabei herrschte eine ziemliche Fluktuation. Die Leute kamen, machten ein paar Sprünge und erschienen nicht wieder. Nur wenige blieben länger, wie zum Beispiel Klaus Helms, ursprünglich aus Parchim , heute Ückermünde, (begonnen 1961 oder 62, 1964 Sprunglehrer, 1968 aufgehört, aus Gründen über die später noch zu berichten sein wird), Wolfgang Mein ebenfalls Parchim (1963/64 für kurze Zeit mal hauptamtlich, weshalb er das nicht blieb, kann er nur selbst berichten, heute der gute Geist der Neustädter Segelflieger). Ein weiterer bin ich.
Gesprungen wurde nicht nur in Purkshof sondern auch auf anderen Plätzen z. B. Güstrow. Wie die Alten (s. o.) erzählten, waren sie 1960 auch schon mal in Neustadt- Glewe.
Für mich brachte das Jahr 1961 den Durchbruch. Nach zwei erfolgreichen Lehrgängen in Güstrow im Frühjahr ging ich im Sommer mit inzwischen stolzen 20 Sprüngen zum Lehrerlehrgang nach Schönhagen, mit mir noch aus dem Norden Wilfried Nitsche (Lehrerstudent aus Greifwald, auch „Semjon“ genannt) und Fritz Kuhl (Student der angewandten Kunst an der Fachschule Heiligendamm). Beide hörten dann aber bald wieder auf, wahrscheinlich schon im folgenden Jahr und verschwanden in der Versenkung.
Der Lehrerlehrgang war toll. Er ging über 4 Wochen. Wir waren sozusagen die Lehrer der 3.oder 4. Stunde nach „Marjutkin“ und einem weiteren Lehrgang 1958 und/oder 1959. Lehrgangsleiter war Wolfgang Laue aus Halle, der von einem zweiten Lehrer namens Linde (stammte aus der Umgebung von Schönhagen), sowie zwei Madls von der damaligen Nationalmannschaft Elli Reimer und Renate Fürstenau assistiert wurde, beides nette und ansehnliche Frauenzimmer. Fallschirmtechnik lehrte der Fallschirmwart der Schule Rolf Schmilk. Weitere Lehrgangsteilnehmer, an deren Namen ich mich noch erinnere waren: Werner Winzer aus Berlin, der später (1965) die eben genannte Elli Reimer schwängerte und heiratete, Klaus Tischer und Manfred Schlieps (später Motorflieger und AN- Pilot in Gera) ebenfalls Berlin, Siegfried Lehmann aus Ascherleben, mein Namensvetter Klaus Garbe, Halle (mit mir weder verwandt noch verschwägert, später AN- Pilot) sowie Veronika Werk (kam glaub ich aus Gera und ist dann irgendwann nach Österreich ausgereist weil sie bei der Nationalmannschaft einen Springer aus der Alpenrepublik kennen und offensichtlich auch lieben gelernt hatte). Insgesamt waren wir so etwa 20 „Mann“. Da fallen mir noch weitere Namen ein: Erika Czebulla, die später den Greschner von Dynamo heiratete, ebenfalls Berlin. Teilnehmer war auch Dieter See aus Dresden, danach zusammen mit dem Lothar Garus bei der GST- Auswahl. Außerdem erinnere ich mich an Siegmund Janasch aus Schwarzheide/ Bez. Cottbus. Der war schon ein gestandener Mann Anfang 40 und erzählte, wie er als 15- jähriger Segelflieger für den Einsatz auf dem sog. Volksjäger He 162 geschult wurde. Um auf eine ähnlich hohe Landegeschwindigkeit wie das Strahlflugzeug zu kommen, sägte man beim Habicht (Segelfugzeug, speziell für Kunstflug) einfach die Flächenenden ab. Gebremst wurde mittels der mit Stacheldraht umwickelten Kufe. Für uns heute unglaublich, aber trotzdem wahr.
Ich habe im Rahmen des Lehrgangs stolze 20 Sprünge gemacht. Einer war besonders merkwürdig (merkwürdig im wahrsten Sinne des Wortes: würdig, dass man ihn sich merkt) weil schmerzhaft. Schuld daran war meine Blödheit (ein wenig Selbstkritik muss sein), Schuld war aber auch die Tatsache, dass 1961 die Gummileine noch der Erfindung durch Vinzenz Prczybichin (s. o.) harrte, weshalb die Verzögerungssäcke nach der Öffnung separat durch die Gegend flogen. Verluste waren nicht zu vermeiden, Ersatz war knapp. So musste bei Sprüngen mit sofortiger Öffnung eben auch mal ohne Verzögerungssack gesprungen werden, was dadurch möglich war, dass es im Tornisterboden auch Gummischlaufen gab, in die dann eingeschlauft außerdem der Hilfsschirm direkt an der Kappe angebracht werden konnte. Die Öffnung war dann aber sehr „sofort“. So hatte ich auch gepackt, als plötzlich das Programm geändert und ein 10“- Verzögerungssprung angesagt wurde. Da ich nicht nur dumm sondern auch faul war, fragte ich Wolfgang Laue: „Kann man auch ohne Verzögerungssack Verzögerung springen? “ Antwort: „Man kann!“ Das hinterhältige Grinsen übersah ich leider zu meinem eigenen Schaden. Also rein in die Kiste, in 1000m raus, 10“ gebeutelt und gezogen. Als ich den Griff halb raus hatte, tat es einen fürchterlichen Schlag. Der Schirm ging auf, wegen des fehlenden Verzögerungssacks mit einem brutalen Ruck. Ich schlug mir den Griff aufs Maul und bekam das Kabel über das Auge. Ergebnis: Minutenlanges Sehen sämtlicher Sterne, eine durchgeschlagene, stark blutende Unterlippe und ein gewaltiges Veilchen. Das Auge quoll fast völlig zu, ich konnte kaum noch etwas sehen. Die rote Suppe lief über das Ersatzgerät. So kam ich schwer angeschlagen unten an, von schadenfrohem Gelächter empfangen, denn Laue hatte die anderen schon darauf vorbereitet, dass ich wohl etwas ramponiert zurückkommen würde. An dem Tag war ich der Depp! Es war leider nicht das letzte Mal.
Während wir unseren Lehrerlehrgang absolvierten, hielt sich die damalige Nationalmannschaft im Rennrodeln in Schönhagen auf. Dazu muss man wissen, dass das Rennrodeln damals die erfolgreichste Wintersportdisziplin des DDR- Sports war (mehrere Welt- und Europameistertitel) und von der damaligen Führung unter Walter Ulbricht sportliche Erfolge als wirksames Mittel für die diplomatische Anerkennung gesehen wurden. Man machte um die Rodler in Presse, Funk und Fernsehen einen ziemlichen Wirbel. Namen wie Thomas Köhler, Klaus Bohnsack und Ortrun Enderlein waren allgemein bekannt, heute würde man sagen, sie waren Stars. Klaus, Ortrun und die anderen waren ganz nett, nur der Thomas Köhler- immerhin schon Weltmeister- riss ziemlich das Maul auf und spielte den großen Agitator. Schließlich brachte er es in der Folgezeit bis ins NOK der DDR. Aber Weltmeister hin oder her, als angehender Fallschirmsprunglehrer und mit dementsprechendem Selbstbewusstsein, betrachte man diese Schluchtenjodler eh mit einer gewissen Herablassung. Bescheidenheit war nun mal nicht unsere/meine Stärke. Die Rodler durchliefen- sozusagen als Ausgleichssport- eine verkürzte Theorieausbildung und machten ein paar Sprünge mit sofortiger Öffnung.
Über Schönhagen (oder nahe dran vorbei) verlief damals der Luftkorridor der Amis von Berlin nach Bayern. Wenn man auf dem Platz stand brummten die riesigen viermotorigen Globmaster- Transportmaschinen mit gelber Nase in verhältnismäßig geringer Höhe über einen hinweg. Flugzeuge über einem, das geht ja noch, wenn sie unter einem sind, ist das schon weniger angenehm. Das erfuhren wir, als wir mit 10 Mann in 500 oder 600 hingen und eine ganze Staffel IL- 28 mit dem roten Stern (IL-28= zweistrahliger Bomber der Iwans aus den 1950er- Jahren) in 300m von links nach schräg über den Platz fegte. Da kann man schon blass werden, zumal die letzten Meter wegen der zu durchquerenden Wirbelschleppen recht unruhig waren.
Blass wurden wir auch, als wir während der Zeit in Schönhagen Augenzeugen eines tödlichen Unfalls bei den Segelfliegern wurden. Wir standen mit angelegter Ausrüstung nach der Mittagspause am Start, als eben diese Segelflieger mittels Winde einen Doppelsitzer hochzogen. Als der ausklinkte, fielen plötzlich beide Flächen ab und der Rumpf raste in Richtung Boden und schlug dort auf. Die Insassen hatten zwar noch das Kabinendach abwerfen könnten, zum Springen reichte die Zeit aber nicht mehr. Dass keiner von beiden überlebte, braucht wohl nicht erwähnt zu werden. Des Rätsels Lösung bzw. die Ursache: wegen eines kleinen Defekts war der Flieger am Vormittag in der Werkstatt. Die Sache war schnell behoben und die demontierten Fläche wurden schon wieder aufgesteckt, da aber die Endkontrolle noch ausstand und damit keiner mit dem Ding losziehen konnte, steckte Hannes Höntsch, der zuständige Werkstattmeister, die Verriegelungsbolzen in die Tasche und ging zum Mittag. Eben das passierte. Die fluggeilen Segelflieger sahen den scheinbar einsatzbereiten Flieger und schoben ihn an den Start. Solange die Winde zog war alles i. O. aber als der Zug weg war, lösten sich eben die Flächen (s. o.). So kann’s gehen!
Von Schönhagen aus war ich übrigens mit dem Klaus Tischer noch nach Friedersdorf gefahren, dem „Stammplatz“ der Berliner Springer. Wir klemmten uns zu zweit mit vollem Gepäck und doppelter (angelegter) Sprungausrüstung (PD-47 und Ersatzgerät) auf seine alte NSU (Vorkriegs- Motorrad 200cm³) und los ging‘s. Irgendwie kamen wir in Friedersdorf in der Nähe von Königswusterhausen an und ich machte dort noch ein paar schöne Sprünge.
Aber egal, die Blessuren heilten ab und ich kam sowohl mit Springer- als auch Lehrerlizenz (Lizenz Nr. 0057) sowie breiter Brust wieder nach Hause. Ich war nun berechtigt, die hellblaue Kombi zu tragen und bekam personengebundene Sprungschuhe! Außerdem durfte ich die ersten Sprünge mit dem bereits erwähnten T- 2 und dem in jenem Jahr ausgelieferten RL- 1 machen (Bild 7). (Anm.: Der RL- 1 war der erste in Seifhennersdorf entwickelt Schirm. Dort produzierte man inzwischen nicht nur PD- 47 und die Ersatzgeräte in Lizenz, sondern begann auch mit Eigenentwicklungen, die man im Falle des RL- 1 im Interesse der Gesundheit der Springer besser unterlassen hätte. Der RL- 1 war eine schlechte Kopie des T- 2, optisch besser, denn er war bunt oder zu mindestens zweifarbig (rot/weiß), eigentlich aber schlechter, denn er war die reine Affenschaukel. So habe ich mir bei einer Bumslandung das Knie lädiert. Das verblasste aber vor der Tatsache mit einem bunten Schirm gesprungen zu sein, denn sonst war Weiß die Standardfarbe).Am Jahresende 61 standen jedenfalls in meinem Sprungbuch unglaubliche 56 Sprünge, ich hatte also meine Sprungzahl in einem guten halben Jahr mehr als verzehnfacht. War ich stolz!
Das Folgejahr 1962 war durch zwei einschneidende Ereignisse gekennzeichnet. Zuerst war es „Business as usuell“: Lehrgang in Güstrow mit L- 60 (März), Ausflug nach Halle – Nietleben (Juni), Lehrgang in Purkshof mit AN- 2 (Juli), Lehrgang in Güstrow (August, AN- 2). Dann im September passierte es. Unter den Anfängern war ein nicht ganz junger, nicht ganz großer aber dafür breiter Mensch, der den Fallschirmsport im Norden in den nächsten dreißig Jahren in Atem halten würde: Karl- Heinz Dopp genannt Kalle (s. Bild 6). (Entschuldige Kalle, Du weißt aber wie das gemeint ist und weißt auch, dass ich Dich als langjährigen Mitstreiter und guten Freund sehr schätze).Sein Einstieg war ziemlich spektakulär, wofür er selbst aber am wenigsten konnte. Beim ersten oder einem seiner ersten Sprünge marschierte ihm so ein Dödel vom Fallschirmdienst (Gastspringer, Name?) in etwa 200 m durch die Fangleinen, so dass beide an einem Schirm landen mussten. Der unten hängende Armist nahm etwas Schaden, Kalle blieb wie üblich unverletzt. Es war sozusagen schon eine Art Tandemsprung, gemäß des (leicht abgewandelten) moltkeschen Grundsatzes: “Getrennt sinken- vereint landen“). In der Tat erwies sich Kalle während seiner langen und erfolgreichen Karriere im Fallschirmsport der Nordbezirke (s. o.)- er beendete diese um 1990 mit fasst genau 1000 Sprüngen- als praktisch „unkaputtbar“. Ich erinnere mich an einen seiner Sprünge in den 70er Jahren bei Sturmstärke. Kalle schlug auf, rammte mit dem Kopf in die Erde, stand aber sofort wieder auf, schüttelte sich kurz, links und rechts bröselten die Reste seines Helms zu Boden und er stand da, nur noch mit dem ledernen Einsatz „behütet“.
Es sollte 1962 aber noch schlimmer kommen und zwar- wie man so sagte- aus „politischen Gründen“: Nach dem Bau der Mauer 1961 wurde zur „Vorbeugung“ und wegen entsprechender „Vorkommnisse“ auch die grüne Grenze dichter gemacht, im Sommer 1962 dann auch die Seegrenze, so wurde z. B. in den Ostseebädern die Vermietung von Ruderbooten verboten etc. Weil die Genossen der Partei- und Staatsführung offensichtlich der Meinung waren, man könnte ja auf die Idee kommen mit ’nem Flieger die Fliege zu machen, zumal man Dänemark ja schon aus ein paar hundert Metern deutlich sieht, beschlossen sie u. a. Purkshof dicht zu machen. Das kam- wie damals üblich- Knall auf Fall, ohne jede Vorwarnung, so wie bei einem Verzögerungssprung ohne gleichnamigen Sack. Ob die Sache während des Septemberlehrgangs schon bekannt war, daran kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Auf jeden Fall waren über Purkshof dann rund 30 Jahre keine Fallschirme zu sehen, zu mindestens kein zivilen.
Auf dem Platz ging es nach dieser Entscheidung natürlich drunter und drüber. Die Motorfluglehrer gingen meistens nach Halle, die Gisela Kowalscyk- da mit einem solchen liiert- ebenso, Udo haute aus irgendwelchen Gründen in den Sack und kehrte der Springerei völlig den Rücken, der Hausmeister (der mit der tollen Köchin) ging zum Haus der Jungen Pioniere nach Rostock, die Segelflieger suchten erst in Güstrow, dann in Schmoldow bei Greifswald Asyl. So fanden alle ein Unterkommen, nur die Springer saßen da und guckten blöd. Das war das jähe Ende der Ära Purkshof/Varchmin.
Es gab 1962 aber noch ein kleines Nachspiel. Im November oder Anfang Dezember fuhren Klaus Rosenberg, Herbert Stern und ich zu einem zentralen Nachtsprunglehrgang nach Leipzig- Mockau. Wir Teilnehmer wurden in einer ungeheizten Gartenkneipe in Flugplatznähe untergebracht, weshalb nachts Heulen und Zähneklappern angesagt war. Aber das nur nebenbei. Zum ersten Nachtsprung kamen wir nicht, da das Wetter nach heutigem Sprachgebrauch „grenzwertig“ war und bereits der erste Start gründlich in die Hose ging. Es erwischte die damalige Frauen- Nationalmannschaft, die als Versuchskaninchen herhalten musste. Wegen eines groben Absetzfehlers hingen die Madls aussichtslos über den, den Platz umgebenden Kleingärten, wohl wissend, dass die Lauben, Gartenzäune und Obstbäume (zumal bei absoluter Dunkelheit) für eine sichere Landung nicht gerade ideal waren. Allerdings gab es in der Gartenkolonie offensichtlich einige glatte, da gleichmäßig weiße (verschneite) Flächen, die man als Rasenflächen interpretierte. So beschloss man dort zu landen. Es stellte sich aber heraus, dass es sich tatsächlich um leicht überfrorene und deshalb schneebedeckte Tümpel handelte. Den Rest der Nacht war die ganze Truppe dann mit der Bergung und Trocknung von Mensch und Material beschäftigt. Zum Springen kamen wir nicht.
Kapitel 4: Ein schwieriger Neubeginn
Nach der Schließung von Purkshof und dem Ausscheiden von Udo und Gisela herrschte eine gewisse Unsicherheit, wie es ohne Hauptamtlichen weitergehen sollte. Für die beiden ehrenamtlichen Lehrer Klaus Rosenberg und mich war die Weiterführung des Geschäftes allein schwer bis unmöglich, schließlich hatte man noch andere Verpflichtungen, ich z. B. mein Studium. Den wichtigsten organisatorischen Kram machte zwar der fliegerische Oberhäuptling beim Bezirksvorstand in Rostock, Gerhard Zinke, es blieb aber noch eine Menge Kleinkram. Die Schirme lagen im Kreisvorstand Rostock- Land in der Baracke an der Rennbahn (Nähe Fernsehturm) und mussten von dort auf den jeweiligen Sprungplatz transportiert werden usw.. Auf jeden Fall kamen wir Anfang 1963 schwer in Gange. Am Schluss klappte es nur, weil mit dem bereits erwähnten Rolf Schmilk aus Schönhagen (inzwischen auch Sprunglehrer) hauptamtliche Hilfe kam.
Für mich endete die Meisterschaft wieder mit einem „Vorkommnis“. In Schönhagen hatte ich einfach immer nur Pech (die übliche Ausrede aller Trottel), und das ging so: Auch 1963 war die Gummileine immer noch nicht erfunden, die Jagd nach dem Verzögerungssack also nach wie vor die erste Amtshandlung nach der Landung. Es war wohl der letzte Tag der Meisterschaft und Freifall stand auf dem Programm. Die „Oberliga“ wie Dynamo sprang zwar schon Figuren, wir aus der Bezirksliga waren aber noch mit einem sauberen Freifall zufrieden. Gewertet wurden Abweichungen von der Ideallage durch drei Schiedsrichter, die dazu durch große Ferngläser guckten und um was zu sehen, die Sonne im Rücken haben mussten, an Video und ähnliche Scherze war damals gar nicht zu denken. Abgesetzt wurde also so, dass die Schiedsrichter was sahen, egal wo der Springer dann landete. An jenem Tag war das meist der Kienberg auch Monte Kien genannt, eine kahle, mit Heidekraut und kleinen Birken bewachsene Kuppe am Rande des Flugplatzes. Da die Starts schnell aufeinander folgten und der Fußweg zur Packzone doch ziemlich zeitaufwändig gewesen wäre, gab es einen Rückholdienst. Rückholfahrzeug war ein alter Russenjeep d. h. der Nachbau des entsprechenden Ami- Modells aus dem 2. Weltkrieg. Wegen des warmen Wetters und wohl auch wegen der besseren Sicht, waren Verdeck und Frontscheibe umgeklappt. Es war also so eine Art Kabrio, was für die Geschichte durchaus wichtig ist. So hing ich denn am Schirm über dem Monte Kien und sah meinen Verzögerungssack ganz nahe der Piste landen, auf welcher der Jeep ankam um mich abzuholen. Beseelt von dem Wunsch, möglichst auch am Landepunkt meines Verzögerungssacks zu landen, steuerte ich eben diesen Punkt an. Wie es kommen musste: Der Fahrer (Springer aus Cottbus, Name?) dachte wohl, dass ich vor ihm landen, ich erwartete dass er weiterfahren würde. Das Ende vom Lied: er hielt an und ich donnerte hinten auf den Rücksitz. Zwar gab keinen Personen- und nur geringen Sachschaden, ich war aber nun schon zu zweiten Mal der Depp von Schönhagen, da für den Fahrer Diskretion natürlich ein Fremdwort war und er nichts Eiligeres zu tun hatte, als meinen kleinen Fehltritt überall auszuposaunen. (Hätte ich aber an seiner Stelle wohl auch gemacht).
Nach der Meisterschaft muss dann Klaus Rosenberg aufgehört haben, ich finde danach seine Unterschrift in meinem Sprungbuch nicht mehr. Zu den Gründen für sein Ausscheiden könnte er nur selbst was sagen. Er wohnt irgendwo im Rostocker Nordwesten (Lütten Klein, Lichtenhagen oder so).
Bevor ich das Jahr 1963 weiter abhandeln kann, müssen wir noch mal in das Frühjahr (Mai) zurückgehen, als uns eine Sprungschülerin einige sehr bange Sekunden bescherte. Aber der Reihe nach. Ich hatte- als frischgebackener Lehrer- in dem Winter in Rostock eine Truppe von etwa 10 Leuten ausgebildet, Männlein und Weiblein. (Die Ausbildung fand in der bereits erwähnten Baracke an der Rennbahn statt). Diese sollten in Güstrow nun ihre ersten Sprünge machen. Nach meinem Sprungbuch war das der 23.05., Sprungleiter war der bereits erwähnte Rolf Schmilk, Pilot der eingesetzten L-60 ein gewisser Landgraf aus Anklam (im Hauptberuf Mistflieger). Der Startaufbau war am hinteren (östlichen) Platzende, nahe des Übungsgeländes der Iwans, am so genannten Franzosenhügel. Unter den Anfängern war auch eine meiner Schülerinnen. Den Namen weiß ich nicht mehr, erinnere mich aber, dass es ein kleines, gut gebautes Frauenzimmerchen war. Nun muss man wissen, dass in der L- 60 der Springer- in diesem Fall natürlich die Springerin- die Leine in einem Ring am Pilotensitz einhängen musste. Der zweite Springer hatte dann die Leine des ersten einzuholen, auszuklinken, seine eigene einzuhängen und dann erst dann zu springen. Beim dritten sollte das ebenso laufen. Dieses Einholen, Ausklinken und Einhängen versäumte die bewusste Schnecke, pflanzte sich mit ihrem (wohlgeformten) Popo auf die Leine des Vordermanns und wartete auf das Sprungkommando. Freund Landgraf griff an den Ring, erfühlte einen Karabinerhaken und in dem Glauben, dass es die Leine unserer Hübschen war, ließ er sie springen. Sie sprang und fiel und fiel und fiel mit nach wie vor geschlossenem Schirm, wurde groß, größer und immer größer, wir unten blass, blässer und noch blässer und kniffen in Erwartung des Aufschlags schon die Augen zu. Im aller-, aller-, wirklich allerletzten Moment merkte sie wohl selbst, dass da irgendetwas faul war und zog den manuellen Griff. Der Schirm ging auf, sie schaukelte ein oder zwei Mal und war unten. Plumps machte sie und Plumps machten auch die Steine die uns vom Herzen (wahrscheinlich eher aus der Hose) fielen. Während ihres Freifalls rannte ein kleiner Iwan mit ausgebreiteten Armen zur voraussichtlichen Aufschlagstelle um die Fallende aufzufangen. Das hätte, außer einem ganz dollen Aua für ihn, zwar nichts gebracht, hier zählte schon allein der gute Wille. Das war mal endlich praktische deutsch- sowjetische Freundschaft. Die Kleine sprang nach der Landung hin und her und fand ihren ersten Sprung richtig toll. So ist das mit dem Mut der Unwissenden.
Es gab noch ein zweites Vorkommnis, allerdings bei den Segelfliegern. Einer von diesen macht seinen ersten Alleinflug und vergaß beim Landeanflug die gleichnamigen Klappen auszufahren, weshalb der Platz ganz schnell zu Ende war. Da an der Platzkante eine Pappelreihe drohte landete er im Sturzflug. Es gab einen dumpfen Knall, das Sperrholz wirbelte durch die Luft und der Flugschüler saß auf seinem Sitz sozusagen im Freien. Trotz des mehr oder weniger „unangespitzten“ Einschlags hatte er (außer einem leichten Nasenbluten) keine erkennbaren Blessuren davongetragen. Vorsichtshalber wurde er aber doch ins Krankenhaus gefahren, man weiß ja nie. Nach Sprung- und Flugsbetriebsende erinnerte man sich des Unglücksraben. Ein in Richtung Krankenhaus abgeschicktes Fahrzeug traf ihn aber schon auf dem Heimweg an. Als er mit der Untersuchung fertig war und niemand kam ihn abzuholen, machte er sich eben zu Fuß auf den Heimweg. Es waren auch höchstens 5 km. Was lernen wir daraus: Die Dummen haben immer Glück, man kann auch ohne permanente Kommunikation mit Mama, Papa und Flugplatz überleben und an ein oder zwei Stunden Fußmarsch ist noch keiner gestorben. Es waren eben doch andere Zeiten.
Im August gab es dann noch einen richtig guten Lehrgang mit schönem Wetter und vielen Sprüngen, meinen ersten in Neustadt- Glewe. Der nächste muss dann im Oktober gewesen sein, ebenfalls in Neustadt. Er endete aber- im Gegensatz zu dem eben geschilderten Vorkommnis- schon nach wenigen Starts auf tragische Weise, weshalb sich in meinem Sprungbuch auch keine Eintragung findet. Ich kam auf jeden Fall zu spät, d.h. der Sprungbetrieb hatte schon begonnen, stellte meine Sache ab und ging noch in „Zivil“ zum Start, um mich anzumelden und erst einmal die Lage zu peilen. Draußen auf dem Platz stand der AN- Mechaniker aus Schönhagen, dessen Namen ich aber vergessen habe, Schmidtchen war es auf jeden Fall nicht. Kaum hatte ich mit dem ein paar Worte gewechselt, als die Umstehenden plötzlich wie gebannt nach oben starrten. Was sie (und dann auch wir) sahen, war nicht erfreulich. Ein Springer- wie sich später herausstellte eine Springerin- ging mit Fahne zu Boden, ohne das Ersatzgerät zu ziehen oder überhaupt einen Versuch zu machen, aus dieser Klemme herauszukommen. Mit einem dumpfen Schlag schlug er/sie in der Nähe des Objekts auf. Die Aufschlagstelle muss etwa im Bereich des alten Manifestes liegen. Sie war durch einen Betonstein mit den Initialen EN (Erika Neumann) und dem Datum markiert. Erika Neumann kam aus Greifswald und es war ihr erster, gleichzeitig auch letzter Sprung. Ursache war (wahrscheinlich) ein Fehler beim Einschlaufen.
Dazu muss man wissen, dass damals auf dem Verzögerungssack Stoff- und keine Gummischlaufen angebracht waren und man zum Packen ein komplettes Packbesteck bestehend aus Packhaken, Packrahmen und Schrotsäcken zum Beschweren der gelegten Kappe benötigte. Gepackt wurde ohnehin zu Zweit.
Der Lehrgang war nach mit diesem Unfall natürlich zu Ende.
Danach wurde es etwas makaber. Wegen der noch ausstehenden kriminaltechnischen Untersuchungen blieb die Leiche, natürlich abgedeckt, die Nacht über draußen liegen. Das eingeteilte Wachkommando entzündete daneben ein wärmendes Feuerchen und spielte Karten, um sich die Zeit zu vertreiben. Am nächsten Tag wurde es fast noch lustig, als der von zwei Pferden gezogene Neustädter Leichenwagen kam. Wie früher üblich, hatte er einen schwarzen, spitzenverzierten Baldachin, der von gedrehten Säulen getragen wurde, so wie in dem Film „Die glorreiche Sieben“, der eben zu dieser Zeit mit großem Erfolg in den Kinos lief und im dem Yul Brynner und Steve McQueen auf ebenso einem Wagen und unter beträchtlichen Geballer durch ein räudiges Nest im wilden Westen fuhren. Die Neustädter Leichenfahrer waren aber unbewaffnet, so dass das Feuergefecht ausfiel. Der traurige Anlass verbot aber in diesem Fall das Lachen.
Das war übrigens schon der zweite tödliche Unfall jenes Jahres in der DDR- Springerei. Im Frühjahr war einer- auch ein Sprungschüler- mit geschlossenem Schirm in Zwickau auf eine Gartenlaube geknallt. Davon wird in einem der nächsten Kapitel noch die Rede sein.
Zu mindestens für mich war das ereignisreiche Jahr 63 noch nicht zu Ende, ich fuhr im November zum Nachtsprunglehrgang nach Riesa, gleichzeitig Sichtungslehrgang für die geplante GST- Auswahl. Neben einem umfangreichen Sporttest unter Aufsicht von Dieter Strüber wurden noch Überprüfungssprünge gemacht, natürlich bei Tage. Für mich kam die Auswahl nicht in Frage, denn ich musste im übernächsten Jahr mein Diplom machen, außerdem war ich wohl auch zu taub bzw. es gab ausreichend bessere Kandidaten. Das Nachtspringen war dann aber richtig toll. Bei Neumond und dichter, aber ausreichend hoher Bewölkung war es unten auf dem Platz „finster wie im Bärenarsch“. Man sah wirklich nicht die Hand vor Augen. Am Schirm war das erstaunlicherweise ganz anders. So konnte man die Hecken und Baumgruppen auf den angrenzenden Flächen in Grautönen deutlich erkennen. Höhepunkt war ein nächtlicher Freifallsprung. Der Platz hatte natürlich keinerlei Befeuerung, nur um das Zielkreuz standen ein paar Grubenlampen. Am Ersatzgerät hatte man eine Taschenlampe an einer 10m langen Leine. Die ließ man nach der Öffnung runter. Einmal sah man in Bodennähe den Lichtkegel auf der Erde, wenn dann die Lampe aufschlug hatte man noch 2“ Zeit bis es bumste und man konnte noch rechtzeitig die Knochen zusammennehmen.
Kapitel 5: Neue Heimat Neustadt- Glewe (Marianne Oesterreich)
Ab wann die Springerei in Neustadt- Glewe ein endgültiges Unterkommen gefunden hatte, ebenso seit wann Neustadt die Rolle von Purkshof als hauptamtlicher Motorflugstützpunkt übernommen hat, kann ich nicht mehr genau sagen. Wahrscheinlich war das Mitte 1963. Allerdings gibt es noch genug Leute, die das noch genau wissen müssten wie z. B. Klaus Barganz, auch schon seit etwa 1960 im Geschäft (damals Segelflieger in Purkshof). Ebenso kann ich mich nicht erinnern, wann Marianne OI (Oberinstrukteur) Fallschirmsport wurde, vieles spricht für 1964. Auf jeden Fall hat sie etwa 1962 in Güstrow mit der Springerei begonnen, wo sie an der Agraringenieurschule in Bockhorst studierte. Das Zwischenspiel mit Wolfgang Mein habe ich schon erwähnt.
Von Hause aus ein ziemlicher Blubberkopp, war er trotzdem gut zu leiden und ich kam mit ihm sehr gut aus (er mit mir offensichtlich auch). Schließlich hatte er die Gummileine erfunden und darauf sogar ein Patent erworben (oder erfand sie bald danach). Außerdem stammte der folgende bedeutsame Spruch von ihm, gerichtet an die Sprungschüler: „Den ganzen Tag sieht man die Kerle nicht, aber zum Fressen sind sie alle wieder da“.
Das bewahrte ihn aber nicht davor, von seinen Kumpeln bös aufs Kreuz gelegt zu werden und das ging so: Damals bekamen die hauptamtlichen Sprunglehrer eine Gehaltszulage. Voraussetzung war eine gewisse Anzahl von Sprüngen pro Jahr oder Monat. Vinzenz, damals schon in den Jahren und ohnehin nicht der Supersportler, ließ es mit der Springerei eher ruhig angehen. Sprunggeil war er wirklich nicht mehr, offensichtlich aber im Rückstand mit seinen Pflichtsprüngen. An einem wunderschönen Tag (ich war selbst auf dem Platz und garantiere, dass jedes Wort wahr ist) mit allerdings extremen Windverhältnisse (kein Bodenwind, oben aber mächtiger Priem von min. 25 m/s), die unser Vinzenz aber nicht kannte, belöffelten ihn seine Altersgenossen- wir jungen Spunde hätten uns das nie getraut- doch endlich seinen fehlenden Sprung zu machen, die Bedingungen wären doch so toll. Er ließ sich breitschlagen. Am Start wurde ihm eingeredet, dass er über dem Kreuz raus müsse, was er wegen des schwachen Bodenwindes auch glaubte und dann auch beherzigte. Er also in 2000m Platzmitte raus, es machte schnurr und er hing am Schirm, die Brüder hatten seinen Automaten verstellt (wenn man an dem Automaten eine Höhe einstellte, die über der Absprunghöhe lag, zog er nach 3‘‘ s.o.). Ich glaube er sprang sogar einen PD. Egal, er fegte über ganz Karl- Marx- Stadt. Als er wirklich nach Stunden vom Feindflug zurückkehrte, stand er unter Volldampf. Da die Übeltäter sich wohlweislich verdrückt hatten, kriegten wir Jungspunde es ab, aber so richtig, obwohl wir völlig unschuldig waren und von der Aktion erst erfahren hatten, als er schon in der Luft war. Es kommt mit Vinzenz aber noch viel besser, nur noch ein paar Kapitelchen Geduld.
Da fällt mir eine weitere Geschichte ein, die damals in Springerkreisen kursierte und mit der V. Furore machte: Als ein Flugschüler sich kritisch über die Funktionsfähigkeit von Fallschirmen äußerte soll er dem Zweifler einen MPLK- 49 umgehängt (MPLK sowjetischer Motorflug- Rettungsschirm, quadratische Kappe wie PZ 47, Sitzschirm) und ihn hinter ein Jak 18 mit laufendem Triebwerk gestellt haben. Auf ein entsprechendes Zeichen hin zog der Schwachkopf, der Schirm ging schlagartig auf und der Luftstrom fegte ihn in einem am Platzrand abgelegten Bretterstapel. Da der Kerl etwas zu Schaden kam, soll V. einen reingewürgt gekriegt haben.
Damit noch nicht genug der Vorkommnisse: Am Rande des Platzes in K-M-ST lag ein etwa 80m tiefer Steinbruch. Ein Sprungschüler hatte ein Problem, sein Hauptschirm ging nicht auf und er verschwand in dem Loch. Auf Höhe Rasensohle muss er dann aber doch noch gezogen haben und zwar das Ersatzgerät und die 80m reichten. Als man am Rand des Loches ankam und Schlimmes erwartete, grinste er den Helfern von Grund des Loches unverletzt entgegen. Ein Loch an der richtigen Stelle kann doch recht hilfreich reich.
Ich machte in dem halben Jahr so 35 Sprünge, für damalige Verhältnisse eine ganze Menge, sowohl in K-M-ST, als auch in Zwickau. Einer von denen in Zwickau war einer der heikleren Sorte. Es war lt. Sprungbuch am 31.05.64, einem Sonntag und es war eine Flugveranstaltung. Wir (Elli Reimer, Maria Lange und ich) sollten zeitgleich aus 3 L- 60 springen, im Freifall zusammenrücken und quasi als Dreieck fallen. So war es geplant. Abgesetzt wurde durch Signal von unten. Wir standen und standen auf dem Tritt. Endlich kam das verabredete Signal. Es klappte richtig gut, als wir dann aber am Schirm hingen war der Schreck groß, denn wir schwebten über dem riesigen Zwickauer Güterbahnhof mit Strom führenden Oberleitung und sonstigen Überraschungen. Das sah gar nicht gut aus, zumal es wegen schwachem Wind nur ganz langsam voran ging. Die Aussichten in Richtung Heimat waren nicht ermutigend: Erst kam eine Gartenanlage, dahinter eine Wiese und erst in weiter weiter Ferne der Platz, den zu erreichen man aber keine Chance hatte. So blieb als Landeplatz nur die Wiese. Die beiden Mädchen, da wesentlich leichter als ich, schafften es noch „auf letzter Rille“, mich mit meinen damals vielleicht 85 Kilo erwischte es. Dummerweise lagen die Gärten quer zu meiner Fahrtrichtung und waren verdammt schmal. Entweder man riss sich an dem Stacheldraht des einen Zauns den Hintern auf oder knallte in den nächsten, beides keine angenehmen Aussichten. Aber was half es, der Boden kam schnell und unaufhaltsam näher. Da hieß es nur: „Augen auf und durch“. Es ging aber alles gut, ich donnerte in ein Erdbeerbeet, der Schirm fiel über den Apfelbaum und unten war ich. Kaum stand ich wieder auf den Beinen, kam auch schon der Gartenbesitzer um die Ecke gefegt- er hatte wohl auf der anderen Seite ein wenig in der Sonne gedöst und war durch meinen Einschlag geweckt worden- und hielt mir sofort eine Standpauke. Es stellte sich heraus, dass der Verunglückte vom letzten Jahr (s. o.) mit geschlossenem Schirm auf seine Laube geknallt war und diese halb weggerissen hatte. Dass nach nicht einmal 12 Monaten schon der zweite Verrückte ausgerechnet bei ihm landete, nahm er irgendwie persönlich. Er verabschiedete mich mit dem Vorschlag, beim nächsten Mal gefälligst doch jemand anderes zu beglücken. Meine Versicherung, dass auch ich auf eine Wiederholung überhaupt keine Lust hätte, stimmte ihn nicht milder. So schieden wir im Zorn.
In meine Zeit in Freiberg fiel auch einer der ersten Großflugtage des GST am 04., 05. und 06.06.1964 in Erfurt. Der eigentlich Flugtag war wohl der 06. da der Sonntag. Ich war an dem Programmpunkt „Massenabsprung“ beteiligt. Es sprangen 30 oder 36 „Massen“ aus den drei AN- 2, über welche die GST inzwischen verfügte: DM- WCX, Y und Z, gesprochen „Xantippe“, „Yankee“, „Zeppelin“ (Piloten Richter, Deumeland und Prodolski, die Zuordnung muss aber nicht stimmen).
Die alte Regel: „Kein Sprung- oder Flugbetrieb ohne Vorkommnis“, bewahrheitete sich auch bei dieser Gelegenheit, betraf aber dieses Mal die technische Fraktion. Wir waren nämlich in einem Studentenheim der Pädagogischen Hochschule untergebracht, allerdings bei laufendem Betrieb, d. h. teilweise waren die Zimmer noch mit Studentinnen belegt. Es handelte um ein etwa zehngeschossiges Hochhaus. Nachts plötzlich ein Auflauf auf dem Flur! Was war geschehen? Ein Motorflug- Mechaniker aus Schönhagen war aus dem 3. oder 4. Stock auf den Mensa- Anbau gefallen und hatte sich den Arm gebrochen. „Na und,“ wird jeder fragen, „was ist denn daran so witzig?“. Abwarten! Bei der „Vernehmung“ der Zeugen und des Betroffenen stellte sich nämlich Folgendes heraus: Die Mechaniker wohnten in Schönhagen im ersten Stock. Da es dort damals nur Gemeinschaftstoiletten am Ende des Flurs gab, stieg man- wenn nachts die Blase drückte- aus dem Fenster auf den angrenzenden etwas flacheren Anbau des Essensaals, trat an die Dachkante und pullerte in den Garten. Das ergab immer so einen schönen Bogen. Nun hatte unser Mixer (Spitzname für Mechaniker) an diesem Abend wie üblich das eine und andere Bier getrunken, vielleicht auch das eine oder andere zu viel. Auf jeden Fall war er hundemüde und kroch frühzeitig ins Bett. Bald drückte natürlich die Blase. Taumelig vor Müdigkeit ging er zum Fenster und stieg wie üblich auf den Anbau, bloß dieser war erstaunlicherweise nicht da bzw. lag ein paar Stockwerke tiefer. Woran er nicht gedacht hatte: Er war in Erfurt und nicht in Schönhagen. Wegen der durch einige Promille erzeugten Lockerheit beim Fall, blieb es nur bei dem harmlosen Armbruch. Glück hat auf die Dauer eben nur der Tüchtige oder Besoffene!
Kaum hatten sich die Wogen geglättet, auf dem Flur erneutes Gejuchze und Gejohle! Es bot sich in der Tat ein außergewöhnliches Bild. Eine nackte männliche Person versuchte in einen Papiersack (für Altpapier) zu kriechen, was aber nur mit dem Oberkörper gelang. Der Rest glänzte in voller Schönheit. Auch hier gab es eine Erklärung: Der Sportsfreund (dieses Mal ein Springer) spürte- wahrscheinlich aus dem gleichen Grund (Alkohol)- ein dringendes Bedürfnis, wollte dazu auch ordentlich die Toilette benutzen, die sich aber nun mal auch hier am Ende des Ganges befand. Zur weit verbreiteten Gilde der Nacktschläfer gehörend, torkelte er unbekleidet den Flur entlang. Plötzlich kamen ihm einige der dort ansässigen Studentinnen entgegen, die sofort ein mächtiges Geschrei erhoben. Was sie tatsächlich sahen, ob es Schreckens- oder Entzückensschreie waren, man wird es nie erfahren. Ihm kam wohl erst in diesem Moment seine ganze Nacktheit zu Bewusstsein, vielleicht waren es auch Minderwertigkeitskomplexe. Auf jeden Fall unternahm er diesen untauglichen Tarnungsversuch. Dieses Mal waren glücklicherweise mal die anderen die Deppen.
Noch ein Lehrgang in Güstrow und das Jahr 1964 war gelaufen. Nachzutragen bleibt, dass ich bei den Sachsen schon mit dem RL- 3 gesprungen war und nach meiner Rückkehr auf den besseren RL- 3/2 umsteigen konnte, der für die nächsten beiden Jahre mein Sprunggerät wurde. Inzwischen hatte nämlich Seifhennersdorf Schirme entwickelt, die besser waren als der RL-1 des Jahres 1961. Zur Produktionspalette gehörte nun auch das quer liegende Ersatzgerät BE- 3, das die alten PZ und PS vollständig ablöste. Schirme gab es nun auch ausreichend. Es ging also deutlich voran. Manuelle Sprünge wurden natürlich mit dem bewähren Öffnungsautomaten KAP- 3 absolviert (s.o.).
Bemerkenswert an dem RL- 3 war die Reparaturtechnologie. Da die Kappe aus Dederon- Gewebe (sozusagen Ost- Nylon) bestand, war ein Loch kein Problem, ein kleiner Flicken, ein Klecks Duosan (gängiger Alleskleber in der DDR) und in 30 Sekunden war der Schaden behoben. Kalle Hierer aus Halle, ein ganz Wilder, der bei der L-60 während des Fluges auch schon mal an den Fahrwerksstreben auf die linke Seite hangelte und dort den Piloten erschreckte, soll 30 solcher Flickstellen auf seiner Kappe gehabt haben. So sagte man, aber erzählt wird ja viel.
Hier möchte ich nun die Geschichte mit der Gans einfügen, selbst wenn das zeitlich nicht korrekt sein sollte. Hier passt sie aber am besten wegen des Zusammenhangs. Sie (die Geschichte) geht so: Adolf hielt auf dem Platz Gänse und zwar gleich hinter dem Hauptgebäude (Flugleitung/Unterkunft). Die latschten überall rum und schissen alles voll. Das führte irgendwann zu einer Diskussion folgenden Inhalts: Irgendjemand fand es komisch, dass Adolf so ein toller Flieger, seine Hausgänse aber - flugtechnisch gesehen- lahme Krücken wären. Das ließ Adolf als stolzer Kleintierhalter nicht auf seinen Tieren sitzen. Diese Meinungsverschiedenheit war die sachliche Grundlage der folgenden Wette: Die Gans wird in 400 oder 500m „abgesetzt“ man könnte auch sagen rausgeschmissen. Landet sie heil- zahlen die Springer, schafft sie es nicht- Adolf. In diesem Fall würde die Gans gemeinsam verspeist werden. Es ging sicher um den üblichen Kasten Bier. Die L- 60 startete. Über dem Platz wurde die Gans „abgesetzt“ und segelte in großen Spiralen absolut souverän der Erde entgegen. Adolf grinste beifällig, den Sieg schon vor Augen. Aber abgerechnet wird bekanntlich am Schluss. War es nun eine schadhafter Höhenmesser oder nur eine falsche Schätzung, egal. In vielleicht 50m legte die Gans die Flünken an und bald darauf zog lieblicher Bratenduft durch die Küchenbaracke. (Anm.: Diese Geschichte darf ich zu Hause deshalb nicht erzählen, weil meine 2.Frau Elke ausgesprochen tierlieb ist. Wären Adolf oder dessen Wettgegner abgeschmiert, würde sie das bestenfalls mit einem trockenen „selbst schuld“ kommentieren, aber so musste ich einen längeren Vortrag über den Umgang mit Tieren über mich ergehen lassen. Aber wo sie recht hat, hat sie recht. Kommt nicht wieder vor!) 1964/65/66 war es auch, als es in Neustadt eine besonders starke Springertruppe gab, Anführer war Rudi Warmbier (guter Turner), daneben Helmut Pieske (etwa 1980 aus „kaderpolitischen Gründen“ ausgeschieden worden), Klaus Ollenschläger (voriges Jahr bei der Erstauflage des Treffens schon dabei) und schließlich Kurt „Kuddel“ Abramowski nebst seinem heute angetrauten Weib Rosita. Günter Gatter, den langjährigen Fallschirmwart und Wolfgang (Butschi) Lachner hätte ich fast vergessen. Entschuldigung, denn vor allem Gatterich war in nächsten Jahren eine der tragenden Säulen der Springerei (s. Bild 19).
Eine ähnliche Truppe gab es auch im Osten im Raum Anklam/ Pasewalk. Hier waren es z. B. Paule Trautner (Lehrer), Klaus Helms (Lehrer), Bruno Drabatzky und Klaus Weigelt (später auch Lehrer). Diese starke Truppe war wohl auch der Grund, dass im Juni/ Juli ein Lehrgang mit L- 60 in Pasewalk stattfand, laut meinem Sprungbuch mit Gastspringern aus Magdeburg (u. a. Heinz Wolf und Jürgen Bakalorz). Die L- 60 flog damals Egon Vohs, vor kurzem noch in Purkshof als Motorflieger aktiv.
Mit Egon hatten wir mal ein nettes Erlebnis: Es war ein schöner, sonniger Tag und Kalle. Helmut Pieske und ich wollten (oder sollten) aus 3000m springen, für die L-60 mit ihrem mickrigen Motörchen und deshalb schwachem Steigen schon eine echte Herausforderung. Pilot war eben Egon. Der flog stur das Dreieck Neustadt- Grabow- Lulu- Neustadt – Grabow- Lulu usw.. Langsam gewannen wir Höhe. Auf 2500m- wir waren gerade über dem Übungsgelände der Iwans vor Grabow- machte es plötzlich „Blupp“ und die Latte stand (gemeint ist natürlich die Luftschraube). Schweigen, nur das Rauschen des Fahrwinds in den Streben. Egon sagt nichts, wir sagen nichts und rauschten weiter. Dann wurde es Kalle auf dem Vordersitz zu bunt: „Was ist Egon, sollen wir springen“? Egon sah auf den Höhenmesser der beruhigende 2400m zeigte und sagte: „Wartet mal noch“, kontrollierte, schaltete auf einen anderen Tank um, startete und weiter ging’s. Da war es nichts mit der schönen Außenlandung bei den Iwans.
Höhepunkt des Jahres waren aber die 2. DDR- Meisterschaften in Karl- Marx- Stadt. Für mich besonders deshalb, weil ich in der Disziplin „Kombinierter Zielsprung“ aus 1000m einen für mich guten Platz im vorderen Mittelfeld belegte (Platz 24 oder 27 von vielleicht insgesamt 80), sogar einige der 2. Mannschaft von Dynamo waren hinter mir! Wer aus Neustadt noch mit war, weiß ich wirklich nicht mehr, vielleicht schafft da der 29. Klarheit (Anm.: Zwischenzeitliche Recherchen ergaben, dass es Klaus Helms und Herbert Stern waren). Es gab aber bei diesen denkwürdigen Meisterschaften offensichtlich noch viele Höhepunkte anderer Art, denn am Schluss war die ganze Frauen- Nationalmannschaft schwanger, was zu einem ungewöhnlichen Hochzeits- und Babyboom führte: Wie schon erwähnt, heiratete Elli Reimer den Werner Winzer, der lange Weber die Maria und Erika Czebulla den Greschner von Dynamo usw. Die anderen Paarungen kriege ich nicht mehr zusammen.
Für mich hatte sich 1965 einiges ergeben, was nicht ohne Auswirkungen auf meine springerische Tätigkeit blieb. Seit Sommer war ich mit meinem Studium fertig und arbeitete seit August beim damaligen VEB Geophysik Leipzig und zwar bei einem reflexionsseismischen Messtrupp, der zu jener Zeit auf der Insel Rügen und in den nächsten Jahren den Norden der DDR nach vermuteten Erdöllagerstätten abgraste. Damit war ich nicht mehr Herr meiner Zeit wie als Student, sondern brauchte eine Freistellung, was aus dienstlichen Gründen oft nicht klappte.
Vom 1. bis zum 8. Juni- man schreibt schon das Jahr 1966- waren wir mit der Neustädter Truppe in Magdeburg. Das war ein traumhafter Lehrgang, jeden Tag Sprungwetter, keine Flugsperre. Mein Sprungbuch weist für diese Zeit immerhin 25 Sprünge aus. Nicht schlecht! Ich erinnere mich daran, dass ich mit Rudi Warmbier und Klaus Helms in einem Zelt lag. Die beiden- damals schon Ehemänner- gingen mir nämlich mit ihrem dauernden Palaver über Ehe, Frau und Kinder ziemlich auf den Wecker. Ich hatte zwar eine feste Freundin, war aber noch ledig und hatte für solche Dinge kein Ohr. Aber erst mal zurück zum Springerischen. Glanzpunkt des Lehrgangs war ein Sprung aus 4000m, mit der Anna doch ein Zeit und Sprit raubendes, deshalb zu GST- Zeiten auch seltenes Vergnügen. Ach ja, da war dann noch der Geländesprung in Burg. Irgendwer kam auf die Idee, man könnte doch mal die Burger Segelflieger überfallen, schließlich wären wir ja Mitglieder einer Organisation für vormilitärische Ausbildung und da macht man so was. Am nächsten Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, ging es los. Wir landeten außerhalb des Platzes auf einer angrenzenden Heidefläche, schlichen uns an die Baracke und stürmten mit Gebrüll hinein. Die Reaktion war ziemlich abweisend und ernüchternd: Die blöden Segelflieger drehen sich einfach auf die andere Seite und fragten, ob wir noch alle Tassen im Schrank hätten. Für einen unserer Springer wurde es aber ein aufregender Tag. Ein Anfänger, des Steuerns noch etwas unkundig, landete im angrenzenden Objekt der Iwans. Da man dort Raketen oder andere allergeheimsten Geheimnisse verwahrte, war der Empfang entsprechend herzlich. Es dauerte Stunden bis wir den Unglücksraben dort wieder raus bekamen. (Dass es sich dabei um den späteren OI Magdeburg „Tünnes“ Scheel handelte, bleibt natürlich unter uns). Damals flog in Magdeburg Wilhelm Lienemann, eine absolute Kapazität, was die Fliegerei betraf. Zwar hatte er hatte er aus dem Krieg ein Holzbein mitgebracht, was ihn aber nicht daran hinderte, knüppelhart Fußball zu spielen. Von ihm wird später im Zusammenhang mit Anklam 1968 noch die Rede sein.
Als ich aus Magdeburg nach Hause kam und meine Freundin besuchte, winkte sie mich mit geheimnisvoller Miene raus und macht mir klar, dass es eindeutige Anzeichen für meine bevorstehende Vaterschaft gäbe. Inzwischen bin ich nun schon Opa von zwei heiß geliebten Enkeln, einem schon ziemlich großen und einem noch ziemlich kleinen.
Im Sommer 1966 fanden in Leipzig die Weltmeisterschaften im Fallschirmspringen statt. Diese wurden mit großem Aufwand perfekt organisiert, schließlich ging es darum, über internationale sportliche Erfolge die diplomatische Anerkennung der DDR voranzutreiben. Als Günter Gebhardt das Zielspringen gewann, war natürlich die Freude der Oberen groß. Auch wir kleinen Lichter freuten uns, denn so ein Erfolg konnte natürlich auch bessere Bedingungen für die Basis bedeuten.
Während des anschließenden Lehrgangs in Güstrow im Juni/ Juli mag es dann gewesen sein, als Kalle eine seiner zahlreichen Glanznummern im wahrsten Sinne aus Parkett legte. Nach dem Sprungbetrieb fuhren wir (Besatzung und Lehrer) in die Stadt, um im Hotel „Stadt Güstrow“ (Eckhaus am Markt, existiert immer noch) etwas Vernünftiges zu essen. Das Restaurant lag im Erdgeschoß, war aber auch gleichzeitig Tanzbar, was man unschwer an der Tanzfläche inmitten des Raumes erkennen konnte. Wir hatten bestellt und warteten auf das Essen, das doch sehr auf sich warten ließ. Auf der anderen Seite saß ein älteres Herrchen mit Schlips und Jackett, wahrscheinlich ein Dienstreisender, vor einer gemischten Aufschnittplatte beträchtlicher Größe. Plötzlich stand Kalle auf, überquerte die Tanzfläche, baute sich vor dem bewussten Herrchen auf. Mit der Feststellung: „Das essen Sie doch nicht mehr!“ raffte er mit einer schnellen Handbewegung- mittels einer während der Frage/Feststellung ergriffenen Gabel- den verbliebenen Aufschnitt von der Platte. Unter ehrfürchtigem Schweigen der anderen Gäste kam er mit seiner Beute zurück an den Tisch, wo er sie (nämlich die Beute) großzügig verteilte. Der Bestohlene- es handelte sich im strafrechtlichen Sinne aber ohne Zweifel um Mundraub- saß da mit offenem Mund, zur Salzsäule erstarrt. So was war ihm noch nie passiert, aber schließlich trifft man auch nicht jeden Tag auf Fallschirmspringer, vor allem nicht auf Kalle.
Da wir gerade bei Kalle sind: Um diese Zeit sprang auch sein jüngerer Bruder Peter. Der machte Lizenz, hörte nach einigen Jahren aber aus heute unbekannten Gründen auf. Vor dem Oktoberlehrgang in Neustadt gab es noch eine vorgezogene Weihnachtüberraschung. Wir bekamen die ersten RL- 3/5 (s. Bild 18). Das war für damalige Zeit ein tolles Gerät, mit dem ich bis 1973 mehr als 200 Sprünge machte, ziemlich leistungsfähig und extrem leicht und schnell zu packen, die ganze Sache war in weniger als 10 Minuten erledigt: Vorn und hinten einen Pieker rein, alle Bahnen auf eine Seite geschlagen, Verzögerungssack drüber, eingeschlauft und fertig war die Laube. Die Öffnung dauerte dafür ewig, war deshalb auch extrem sanft. Mit dem 3/5 ging die Ära der Naturseidenschirme zu Ende. wobei er noch bis Ende1973 bei uns in Neustadt gesprungen wurde unter anderem auch von mir. Was folgte war erst mal der RL- 5 oder 5/1 (bereits aus beschichtetem Kunststoffgewebe), allerdings ein förmlicher Knochenbrecher. Ich sehe heute noch einige von den Magdeburgern mit stark schaukelndem Schirm in die Lichtung Richtung Lederwerk einschlagen. Das konnte man deshalb so gut sehen, weil der Startaufbau zu damaligen Zeitpunkt in der SW- Ecke des Platzes war; der alte Sandkasten ist evtl. noch zu erkennen. Der RL- 5 war also weniger ein Sportgerät als vielmehr ein wirksames Mittel zur Erhöhung des Krankenstandes. Aber vielleicht kam der auch erst einige Jahre später.
Neben Lehrgängen in Anklam (Juni) und Neustadt- Glewe (August und September), alle mit L- 60, gab es im Oktober 67 die 3. DDR- Meisterschaften in Schönhagen, in beiderlei Hinsicht nicht so erfolgreich wie zwei Jahre zuvor. Ich war sauer, weil ich beim Gruppenzielsprung einmal außerhalb des 10m- Kreises landete und deshalb mit 0 Punkten abziehen musste. Schuld war in meiner Erinnerung die Hektik. Wir kamen zu spät aus Luckenwalde von einem blöden Ausflug, schafften die Maschine im letzten Moment und gingen einfach zu spät raus und das war’s. Ingesamt landeten wir im hintersten Mittelfeld. Die anderen beiden Teilnehmer aus Neustadt waren Klaus Helms und Rudi Warmbier, bei letzterem bin ich aber nicht ganz sicher. Wer sollte es aber sonst gewesen sein? Was den Nachwuchs betraf, war man dieses Mal weniger fruchtbar (s.o.). Wahrscheinlich hatte man bei den Frauen im Vorfeld auch Verhütung trainiert und außerdem gab es seit 1966 in der DDR schon die Pille.
Aus Anlass der Meisterschaft war übrigens der RL- 6, der erste Rechteckgleiter vorgeführt worden. Allerdings noch kein Stauluftgleiter wie heutzutage, sondern einfach eine rechteckige, gewölbte Fläche. Der flache Gleitwinkel war für den damaligen Geschmack wirklich erstaunlich. Testspringer waren nach meiner Erinnerung der Franz Täubrecht und der lange Gebhardt, beide Dynamo, die aber mit Wind anflogen und deshalb richtig mit Feuer auf dem kleinen Kienberg einschlugen.
Allerdings kam es während des Wettkampfs ein „Vorkommnis“ mit einer Antonow, was bei deren sprichwörtlicher Zuverlässigkeit ein- im wahrsten Sinne des Wortes- einmaliges Ereignis war: Die Sache spielte sich in Platznähe ab, so dass die Wettkampfteilnehmer Augen- und auch Ohrenzeugen wurden. Um bei dem „Vorkommnis“ zu bleiben: Eine der drei oder vier im Einsatz befindlichen Annas, am Steuer saß der dicke Prodolski aus Schönhagen, befand sich im Steigflug südlich des Platzes, als das typische Brummen des AN- Triebwerks plötzlich in ein schrilles Kreischen überging. Nach einigen Sekunden kamen die Springer heraus gepurzelt und die Maschine verschwand irgendwo hinter dem Monte Kien (s. o.). Nach einer guten halben Stunde kam Prodolski mit dem Mixer per Anhalter zurück (evtl. hatte man sie auch abgeholt) und berichtete, dass er in den Wiesen Richtung Trebbin mit abgestelltem Triebwerk notgelandet wäre. Die Maschine sei unbeschädigt, sitze aber in der weichen Wiese fest. Allerdings wäre eine/die Hydraulikleitung zur Verstellung der Luftschraube gebrochen, so dass sich diese auf neutral gestellt hätte und das Triebwerk durchgegangen wäre (was den Krach erklärte). Flugs wurde ein Reparatur- und Bergungskommando zusammengestellt, das sich per LKW in Marsch setzte. Die defekte Leitung wurde vor Ort gewechselt, die Maschine auf mitgebrachten Brettern aufs Trockene geschoben, ein Koppelzaum ungelegt und schon war die gute alte Anna wieder in der Luft.
1967 war also ein eher durchschnittliches Jahr, eher arm an Ereignissen. Deshalb schiebe ich hier zwei Storys ein, deren tatsächliches Stattfinden ich zeitlich nicht mehr einordnen kann, die aber eigentlich auch zeitlos sind. Sie illustrieren, mit was für Schwachköpfen man sich auch schon damals herumschlagen musste.
No 1: Anlässlich einer der zahlreichen Flugsperren oder Schlechtwetterperioden kam man auf folgenden Zeitvertreib: Mittels einer Rückholwinde der Segelflieger (so einem Ding mit kleinem Benziner und einen langen, dünnen Seil zum Zurückholen des Schleppseil an den Start, wird heutzutage meist durch klapprigen Pkw erledigt) und einer Krankentrage mit großen Rädern wurde ein „Viererbob“ gemacht. Die Winde stand an dem einen Ende des Platzes, das Seil wurde abgerollt, die Trage drangehängt, vier Mann drauf und Gas. Die Fuhre flitzte mit einem Affenzahn durch die Gegend. Da das Gras ziemlich hoch war, sah man nur die vier Köpfe über den Platz jagen. Wegen der zahlreichen Diestel sah der vorn Sitzende hinterher aus wie ein Stachelschwein. Deshalb wurde nach jeder Tour gewechselt.
No:2: Dass die Lehrer auch nicht besser waren, belegt folgende Episode: In jenem Jahr war das mit den Wildschweinen ziemlich schlimm. Sie zerwühlten den Platz so sehr, dass die Motorflieger mit ihren leichten Kisten richtige Bocksprünge machten. Die Fallschirmspringer waren die Richtigen um das Problem zu lösen, zumal sie in ihren Reihen mit Kalle den größten Wildschützen nördlich des 38. Breitengrades hatten. Die entsprechende Bewaffnung in Form der Leuchtpistolen war gleichfalls vorhanden. Diese wurden zu Vorderladern umfunktioniert, indem vor die Leuchtpatronen Bleikugeln, Muttern und andere Kleinteile kamen. So gerüstet wurde die Abenddämmerung erwartet. Als es soweit war, starteten die beiden Phänos (alte 2,5 t- LKW). Besetzt mit jeweils 4 oder 5 Mann ging es in Richtung altem Tontaubenschießstand, wo die Schweine in der Nacht zuvor besonders aktiv gewesen waren. Und da waren sie wieder, die Übeltäter, also hinterher. Aber obwohl wir 60 fuhren, kamen wir nur langsam näher. Kurz vor dem Waldrand waren wir fast auf Schussweite heran; also eine volle Salve, aber ohne jede erkennbare Wirkung. Nun ging es in Richtung Brenzer Kanal, wo wir eine weitere Rotte aufstöberten. Inzwischen war es ziemlich nebelig geworden, die Sichtweite lag unter 50m. Nur eine Vollbremsung verhinderte den Sturz in den Kanal. Ufff! Plötzlich ein Feuerschein! Die Leuchtkugeln der ersten Attacke hatten das Unterholz entzündet. Aber mit vereinten Kräften war das Problem zum Glück bald gelöst. Einigkeit macht eben stark.
Ganz anders begann 1968. Gerne würde ich dieses Jahr unterschlagen, um das damals Geschehene ungeschehen zu machen, aber es ist die traurige Pflicht des Berichterstatters auch über tragische Ereignisse zu berichten, die leider ebenso zu unserem Sport gehören. Ich will nun versuchen, den Ablauf des Geschehens an jenem 30. Mai in Anklam aus meiner Sicht wiederzugeben.
Auch dieses Mal kam ich, aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen, wieder mal zu spät. Auf jeden Fall war der Sprungbetrieb schon im Gange. Paul Trautner war Sprung- und Lehrgangsleiter, 2. Lehrer Klaus Helms. Gesprungen wurde aus der L- 60, die von Karl Rietz aus Anklam geflogen wurde. Ich war an diesem Tag sozusagen nur einfacher Springer, da ich in dem Moment keine gültige Lehrerlizenz hatte, meine war gerade zur Verlängerung in Neuenhagen. Es sollten erst mal noch zwei Starts gemacht werden. Dann war eine längere Pause geplant, weil Karl seinen kranken (oder behinderten?) Sohn aus einem Heim in der Nähe abholen musste. Den nächsten Start sollte Klaus absetzen, den übernächsten dann ich (Anm.: Auf Grund eines Vorkommnisses aus dem Vorjahr, über das später noch berichtet wird, musste auch in der L- 60 ein Lehrer/Absetzer mit dabei sein). Irgendwie haben wir dann aber getauscht. Vielleicht mein Glück. Über meinen Start gibt es nichts zu berichten, der nächste war dafür umso dramatischer und folgenreicher.
Klaus startete also mit seinen beiden Schülern, Absetzhöhe wahrscheinlich 1000m. Einer von den beiden hatte am Boden zwar das große Maul, war bei seinen ersten beiden Sprüngen aber ziemlich flatterig gewesen, wahrscheinlich hatte er einfach Schiss. Anfangs lief alles normal. Der erste Springer kam, der Schirm ging auf. In Ordnung! Da plötzlich beim zweiten Anflug kam ein Schirm raus und fegte in das Höhenleitwerk. Innerhalb einer Sekunde wurde aus der Normalität der Notstand, nach einigen weiteren Sekunden die Katastrophe. Sofort ging die Maschine auf den Kopf, das Triebwerk heulte auf und die L- 60 raste mit ständig wachsender Geschwindigkeit der Erde entgegen. Plötzlich bogen sich die Tragflächen nach oben und klappten an den Rumpf. Da- schon in Bodennähe- löste sich ein Körper von der Maschine, bevor er und die Maschine hinter den Bäumen verschwanden, blitzte noch etwas weiß auf. Dann ein dumpfer Aufschlag, danach Stille- Totenstille. Das Ganze hatte keine 30 Sekunden gedauert.
Unsere Erstarrung dauerte ebenfalls nur Sekunden, dann sprangen wir in Pauls Wagen und rasten zur Absturzstelle, die etwa 1km nördlich des Platzes auf einem Acker liegen musste. Dort erwartete uns erst mal eine gute Nachricht. Klaus kam uns heil und unversehrt entgegen. Einen Schock- wie heute obligatorisch- hatte er nicht, war also im wörtlichen Sinne „unerschrocken“, zeigte nur mit einer traurigen Geste in Richtung des Wracks. Was wir dort sahen war wirklich schrecklich. Die Maschine war mit 300 vielleicht auch 400 km/h unangespitzt eingeschlagen, erstaunlicherweise aber nicht in Brand geraten. Erlasst mir bitte die Beschreibung, wie die Insassen aussahen bzw. das was von ihnen übrig war. Fast noch schrecklicher war aber, dass Karls Frau mit dem Fahrrad über den Acker angestrampelt kam. Sie wusste natürlich um welche Maschine es sich handelte und wer sie geflogen hatte. Zum Glück konnten Paul und Bruno Drabatzky sie noch vor dem Wrack abfangen. Endlich brach sie zusammen und ließ sich willenlos wegführen.
Für die Ereignisse in der Maschine gibt es nur einen Zeugen- Klaus Helms. Dessen Bericht gebe ich nach bestem Wissen und Gewissen wieder, wohl wissend, dass er das viel besser könnte.
Hier nun der Bericht: Als Klaus den (2.) Springer (Namen vergessen) zum Fertigmachen aufforderte, saß dieser ziemlich blass in seiner Ecke. Plötzlich schoss sein Ersatzgerät raus, mit den bekannten Folgen. Klaus versuchte ihn aus der Maschine zu bugsieren, was ihm aber nicht gelang. Er stieg über ihn hinweg auf den Tritt und versuchte mit dem Kappmesser die Gurtenden zu durchtrennen. Ob er in Bodennähe gesprungen ist oder der Fahrtwind ihn einfach weggerissen hatte, konnte er hinterher nicht mehr sagen. Als er den Boden ganz, ganz dicht vor sich sah, öffnete er das Ersatzgerät, nicht den länger öffnenden Sprungschirm. Das rettete ihm das Leben. Die Öffnungshöhe lag sicher weit unter 50m, vielleicht waren es auch nur 20 oder 10m. Bevor seine Füße den Boden berührten, war der Schirm auf jeden Fall offen. Mit dem RL hätte das nicht mehr geklappt. Durch sein, heute sagt man „cooles“ Handeln hatte er seinem Schutzengel viel Arbeit abgenommen.
Karl Rietz merkte wohl sofort, dass nichts mehr zu retten war (was das Flugzeug betraf). Er warf seine Tür ab und schrie: „Springt, springt!“, sprang selbst aber nicht. Dann war es für ihn zu spät. (Anm.: Klaus hat mir vor kurzem bestätigt, dass meine Schilderung weitgehend dem tatsächlichen Ablauf entspricht).
Held ist ein großes Wort. Ich gebrauche es hier aber ganz bewusst. Am Anfang hätte er die Chance gehabt, sich zu retten. Was ihn davon abhielt, wird man nie erfahren. Dass er in den letzten Sekunden nicht mehr springen konnte, schmälert seine Tat nicht. Helden kommen eben nicht nur aus Hollywood, die richtigen auch mal aus Anklam, was man auch an Otto Lilienthal sieht. Ich glaube, dass Karl schon mal eine Gedenkminute wert ist.
Was folgte, waren endlose Untersuchungen sowohl durch die Staatliche Luftfahrtinspektion als auch durch die Mordkommission, wie bei Unfällen mit Todesfolge üblich. Die waren aber auch irgendwann vorbei. Gesprungen wurde natürlich nicht mehr. Aber womit auch, es war ja kein Flugzeug mehr da. Die Lizenzen von Paul und Klaus hatte man gleich einkassiert. Die restlichen L- 60 wurden für den Absetzbetrieb erst mal gesperrt.
Für mich ging die Sache lt. Sprungbuch im Herbst weiter. Danach machten wir u. a. am 19.10. einen so genannten Geländesprung in Pinnow. Nach Neustadt ging es dann per Fußmarsch zurück, quer durch die Lewitz über Friedrichsmoor, bis zum Platz mal locker 30 km. Es war schon dunkel, als wir auf der dichten Eichenallee in Richtung Friedrichsmoor marschierten. Plötzlich lautes Geschepper und Gefluche. Ein „unbeleuchteter“ Radfahrer war in der Dunkelheit auf den letzten Mann unserer Gruppe aufgefahren. Die anderen Gruppen versuchten durch Betrug vor uns zu Hause zu sein. Aber weder per Anhalter noch per Bahn waren sie schneller. Ich erinnere mich deshalb (wegen des Marsches) noch daran, dass in dem Jahr der Anfängerlehrgang besonders gut war, überdurchschnittlich viele überdurchschnittlich flinke, pfiffige Burschen. Namen fallen mir allerdings nicht mehr ein. Kann es sein, dass Henne einer von denen war? Das Jahr schloss für mich mit mageren 15 Sprüngen. An den Unterschriften in meinem Buch sehe ich, dass wir Gäste aus Berlin hatten. Es haben sich nämlich W. Fiedler und Hauck verewigt. Später waren auch Eva Reuter, eine Kinderärztin aus der Berliner Umgebung sowie Peter und Inge Langenhahn aus Pritzwalk dabei.
In diese Zeit- es müsste etwa 1967/68 gewesen sein- fiel auch die häufige Anwesenheit anderer Gäste. Aus irgendwelchen Gründen sprang damals eine Truppe der Stasi aus Schwerin bei uns mit. Da die Jungs natürlich in ganz geheimer Mission bei uns waren, nenne ich nur ein paar Vornamen. Artur oder Alfred xxx ,Peter xxx , Henry xxx u. a.. Die hatten teilweise sogar ihre Dienstwaffen dabei. So haben wir einmal mit einer tschechischen Mini- MP der Marke Skorpion auf dem Schießstand in Güstrow (am sog. Franzosenberg) herumgeballert.
Im Winter folgte dann das juristische Nachspiel der Katastrophe von Anklam vor dem Bezirksgericht in Neubrandenburg. Die nach Meinung der Staatsanwaltschaft Verantwortlichen (Paul und Klaus) wurden angeklagt, die Anklage lautete auf „Gefährdung des Luftverkehrs mit Todesfolge“ oder so ähnlich. Ich war aus dem o. g. Grund nur Zeuge, sah mich aber eigentlich im Geiste auch auf der Anklagebank. Meine Aussage deckt sich natürlich mit dem, was ich oben geschildert habe. Es gab keinen Grund, etwas zu verschweigen oder zu beschönigen.
Um die Sache überhaupt verstehen zu können, muss man kurz in das Jahr 67 zurückgehen. Damals hatte es in Leipzig bereits einen ähnlichen Unfall gegeben: Einem Springer war in der L- 60 ebenfalls der Schirm (Ersatzgerät?) aufgegangen, worauf die Maschine abschmierte. Der Pilot und der oder die Springer kamen aber noch raus, so dass es bei dem Totalschaden des Fluggerätes blieb. Da man als Ursache den seitlich angebrachten Griff des BE- 3 ausgemacht hatte, gab es eine Weisung des ZV, dass aus der L- 60 nur mit Ersatzgeräten gesprungen werden durfte, deren Öffnungsgriffe noch oben verlegt worden waren. Ob Marianne diese Weisung nicht kannte oder welche Gründe es sonst noch gab, auf jeden Fall hatten die Ersatzgeräte die zu Lehrgangsbeginn aus Neustadt kamen, den Griff nach wie vor an der Seite. Eigentlich hätte man also nicht springen dürfen. Vor die Frage gestellt, den Lehrgang ausfallen zu lassen oder das zu ignorieren, hatten Paul und Klaus sich für Letzteres entschieden. (Hätte ich auch gemacht, da bin ich ganz ehrlich).
Die Untersuchung des Unfalls in Leipzig hatte übrigens mit einem Eklat geendet. Mitglied evtl. sogar Leiter der Untersuchungskommission war der schon weiter oben erwähnte Wilhelm Lienemann, der – wie auch schon erwähnt- im DDR- Motorflug auf Grund seiner Flugerfahrung eine große Nummer war. Allerdings war er auch ein wenig polterig und in seiner Ausdrucksweise manchmal nicht gerade sensibel. Er vertrat wohl als Einziger die Meinung, dass die L- 60 wegen zu schwacher Motorleistung für den Absetzbetrieb von vornherein ungeeignet sei und deshalb für diesen Zweck aus dem Verkehr gezogen werden müsse. Als er mit seiner Meinung nicht durchdrang, soll er seinen Sachverständigenausweis hingeknallt und unter Grollen den Raum verlassen haben. Der Vorfall von Anklam bestätigte ihn leider auf makabre Weise.
Aber zurück zum Prozess: Der Staatsanwalt überließ die fachliche Begründung seines Antrags seinem Hauptzeugen, einem Vertreter der damaligen Untersuchungskommission. Der führte klar und verständlich aus, wie es aus seiner Sicht zu dem Malheur gekommen war: Wegen des nicht umgebauten Ersatzgerätes blieb der Schüler beim Umsteigen mit dem Griff in der Ecke irgendwie hängen und das Ersatzgerät öffnete sich. Die Folgen seien ja bekannt. Die Angeklagten hätten sich durch das Ignorieren der Weisung schuldig gemacht und müssten dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Das sah ganz schlecht aus für die beiden.
Nun muss man aber wissen, dass Paul vor Gericht schon Erfahrung hatte. Er war ein oder zwei Jahre zuvor in einen Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang verwickelt und deshalb vor dem Kadi gelandet. Ein außergewöhnlich cleverer Anwalt für Verkehrsrecht aus Berlin hatte damals seine Unschuld bewiesen. Den hatte Paul auch dieses Mal engagiert. Es war wie in einem englischen Kriminalfilm: Der Verteidiger, groß, schlank, seriös in einem Tweed- Jackett mit Schlips und Bilderbogen, dagegen der Staatsanwalt ein kleiner, gnurpeliger Mensch vom Typ „Gartenzwerg“ im speckigen dunklen Anzug. Dass der Anwalt wirklich clever war, bewies er sofort, indem er gleich sein As aus dem Ärmel zog. Er rief seinen Zeugen auf, den er bisher sogar vor seinen Klienten geheim gehalten hatte. Wer das war? Dreimal dürft Ihr raten. Es war- Wilhelm Lienemann (s. o.). Der von der Havariekommission zog die Rübe ein, war plötzlich ganz klein. Wilhelm legte auch gleich los und nahm den Zeugen des Staatsanwaltes nach allen Regeln der Kunst auseinander und bewies mit ebenso einfachen und klaren Worten, dass die damalige Kommission eine Ansammlung von Deppen war, die von der Fliegerei aber auch nicht ein Fünkchen Ahnung hatten. Innerhalb von wenigen Minuten wendete sich das Blatt. Am Schluss konnte der Staatsanwalt nebst Zeugen froh sein, nicht sofort selbst eingelocht zu werden. Im Laufe der Untersuchungen hatte man übrigens auch noch mal versucht, die Theorie der Anklage durch eine Rekonstruktion zu untermauern. Dazu setzte man einen Springer (Bruno Drabatzki?) mit einem Original- BE (also Griff seitwärts) in die Maschine mit der Aufforderung zu versuchen, ohne Einsatz der Hände irgendwie den Griff aufzuziehen. Obwohl er lange in der Ecke herumwirtschaftete, gelang das aber nicht.
Was dann folgte war ein Freispruch. Begründung: Die damalige Weisung war Blödsinn und nicht geeignet, den erneuten Vorfall zu verhindern. Der Verstoß gegen eine unsinnige Weisung ist nicht strafbar, im Zweifel für den Angeklagten usw. Noch ein interessantes Detail und ein weiterer Beweis dafür, welche Zufälle es im Leben so gibt. Der Sohn des vorsitzenden Richters war auch Sprungschüler, damals in Anklam dabei und der beste Kumpel des Verunglückten.
Trotz des strafrechtlichen Freispruchs wurden Paule (inzwischen verstorben) und Klaus ihre Fleppen los. Beide hörten mit der Springerei auf. Schade! Unbeantwortet ist nach wie vor die Frage was wirklich geschehen ist und wird es wohl auch immer bleiben. Die einzige Erklärung sieht am Schluss so aus, dass der Springer aus Nervosität oder Schiss selbst an dem Griff gezogen hat, mit verheerenden Folgen für sich und leider auch für Karl Rietz. Was für mich blieb, ist die Erinnerung an einen schlimmen Tag, anfangs auch mal die Frage nach meinen evtl. Aktien an dieser Sache.
Die L-60 ist nach dem 30.05.1968 nicht mehr als Absetzmaschine eingesetzt worden. Gesprungen wurde von nun an nur noch aus der Antonow, deren Bestand sich etwa um diese Zeit um einige Maschinen nun aus polnischer Lizenzproduktion vergrößerte. Die Nordbezirke (Neustadt) bekamen z. B. eine gemeinsame Maschine mit Magdeburg. Geflogen wurde sie von Wilhelm Lienemann, später auch Erich Deumeland, Mechaniker war damals Christian Gelfert, später selbst langjähriger und exzellenter AN- Pilot. Das Ding irgendwie durch die Luft bewegen ist die nämlich eine, die Springer richtig absetzen eine andere Sache, was zahlreiche Außenlandungen gelegentlich (auch heute noch) zeigen.
Neben den Profis Deumeland und Gelfert gab es in Neustadt noch zwei, weitere allerdings ehrenamtliche Piloteure für die Anna: Jürgen Böhnert aus Rostock und Klaus Rieger, der aus Frankfurt (natürlich O) stammte und im Hauptberuf Offizier in dem dortigen Raketen- Reparaturwerk der NVA war. Leider fand er den Fliegertod, als er mit einer Z-42 und einem Flugschüler bei Blievensdorf oder so auf den Technikstützpunkt der LPG knallte. Jürgen Böhnert hatte, was die Fliegerei betraf eine außergewöhnliche Vorgeschichte, denn er studierte um 1960 „Wissenschaftliches Fliegen“ an der TU damals evtl. noch TH Dresden, d. h. er wollte Testpilot werden und hatte in Dresden auch das Fliegen gelernt. Das gab es wirklich! Etwa 1955 hatte man in der DDR nämlich begonnen, eine eigene Flugzeugindustrie aus dem Boden zu stampfen und das erste deutsche strahlgetriebene (und eines der ersten überhaupt) Passagierflugzeug die BB 152 zu konstruieren, zu bauen und in die Luft zu bringen. Dann kam der 4. März 1959, an dem die Maschine bei ihrem 2. Testflug kurz vor Dresden- Klotzsche im Landeanflug auf den Acker knallte. Das war wohl ein aber nicht der Hauptgrund dafür, dass das Politbüro im Sommer des Folgejahres beschloss, die gesamte Flugzeugindustrie einzustampfen. Das ging damals mal wieder „ritsch- ratsch“, wie schon der Genosse Kossonsow in der „Kuh im Propeller“ sagte (s.o.). Für die Flugzeugbau- Studenten war dann natürlich auch Schluss, die mussten auf andere Fachrichtungen umschulen. So ging das damals.
Rund 20 Jahre später drohte dem Flugsport in der DDR ein ähnliches Schicksal. Davon wird in zweiten Teil noch die Rede sein.
Für das Jahr 1969 finde ich in meinem Sprungbuch Eintragungen zu 3 Lehrgängen (Mai/ Neustadt, August/Anklam, September/ Neustadt). Das wird aber nicht alles gewesen sein. Dadurch, dass ich im Außendienst tätig und meine Familie nur an den Wochenenden sah, gab es – neben den problematischen Freistellungen- natürlich auch zu Hause das eine und andere Problem. So war ich sicher nicht immer dabei, wenn gesprungen wurde. Hier müsste als Zeitzeuge evtl. Kalle einspringen. Ob es schon 1969 war, als Marianne für ein Jahr zur Parteischule musste, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. War es so, dann kam schon in diesem Jahr Hannes Stübner aus Magdeburg, der sie in dieser Zeit vertreten sollte. Es kann aber auch sein, dass die Sache mit der Mariannes Parteischule und der Vertretung durch Hannes erst 1970 war.
Das ist das Ende meines Berichtes. Die Zeit bis zur Wende ist nun Kuddels Part.
Eine Geschichte muss ich aber noch loswerden, die zwar in Kuddels Berichtszeitraum fällt, die ich aber hier unbedingt anbringen möchte, da ich bei dieser Gelegenheit den wohl schönsten Moment meiner Springerlaufbahn erleben durfte. Aber genug der Vorrede.
Im August 1975 war Großflugtag der GST in Magdeburg. Da wurde alles zusammengetrommelt, was fliegen und springen konnte. Ich will hier nicht über den ganzen Flugtag berichten, auch über nicht die Story mit dem Rauchkörper, den einer von den blöden Magdeburger über der Stadt in der Antonow zündete, sondern nur über eine Episode, die sich eigentlich am Rand abspielte, vor etwa 10 bis 20 Augen- und Ohrenzeugen.
Es war am Sonntag, dem Tag der eigentlichen Veranstaltung und zwar vormittags, dabei ziemlich dunstig. In Vorbereitung der Flugschau waren in einer Ecke bei der Halle die Experten dabei, mittels Theodoliten und Pilotballon (für den Nichteingeweihten: das ist ein Gummiballon von ca. 1m Durchmesser, ungefüllt sieht er aus wie ein Elefantenpräser) den Höhenwind zu bestimmen. Oberexperte war der allseits bekannte und beliebte Freund Vinzenz aus Karl- Marx- Stadt von dem schon im 5. Kapitelchen die Rede war. Der erste Versuch ging schief. Es war das Problem der ostfriesischen Kriegsflagge: Weißer Adler auf weißem Grund. Wegen des tief liegenden Dunstes (s. o.) war der weiße Ballon bei 100 m schon nicht mehr zu erkennen. Flugs wurde sozusagen ein Arbeitskreis gebildet, der hier mögliche Lösungsvarianten diskutierte, selbst ernannter Vorsitzender war natürlich Vinzenz. Ich stand mit einigen anderen Nichttuern nur so rum und wurde damit zum Zeugen des nachfolgenden Ereignisses. (Bevor ich weiter berichte, empfehle ich dem Leser eben auf dieses Kapitel 5 zurückzugehen um die dort gegebene Beschreibung von Vinzenz aufzufrischen, was nachfolgend von einiger Bedeutung sein wird, wobei noch zu ergänzen ist, dass er leidenschaftlicher Stumpenraucher war und einen solchen gerade im Mundwinkel hatte).
Der Variantenvergleich endete damit- im Gespräch war zum Beispiel auch der Vorschlag, den Ballon einzufärben- dass Vinzenz seine Variante einstimmig annahm, die darin bestand einen Rauchkörper dranzuhängen, dann würde das schon klappen. Wie beschlossen- so ausgeführt. Der Ballon wurde gefüllt, der Rauchkörper drangehängt und in Startposition gebracht. Vinzenz zog noch mal an seinem Stumpen um richtige Glut zu erzeugen.
(Bevor er nun den Zünder in Brand setzt und die Ereignisse ihren verhängnisvollen Verlauf nehmen, muss auf einige grundlegende chemische Zusammenhänge hingewiesen werden, die V. in diesem Moment zum eigenen Schaden ignorierte: Wasserstoff + Sauerstoff= Knallgas, Knallgas + Feuer= Explosion). Und so kam es auch. Der Zünder zischte kurz, dann tat es einen gewaltigen Schlag. Vinzenz stand da, wie die Kuh wenn’s donnert. Seine runden Augen traten zentimeterweit aus dem Kopf und vor kindlichem Erstaunen stand sein Mund offen, ihn bewegte augenscheinlich ganz stark die Frage: „Was war das, wo ist er denn (der Ballon)?“.
Als nach einigen Sekunden der Stille klar war, dass der Betroffene- gleichzeitig auch der Verursacher- keinen größeren Schaden genommen hatte, gab es eine zweite Explosion. Die Umstehenden heulten vor Lachen auf, hielten sich die Bäuche und wälzten sich am Boden. Das ging minutenlang so weiter. Einen zusammenhängenden Bericht über das Geschehene zu erhalten, war für Außenstehende in den nächsten Stunden nicht möglich. Das hätten selbst die Jungs vom MfS in diesem Moment nicht geschafft. Schon auf die bloße Frage hin, was denn eigentlich geschehen wäre, antworteten die Zeugen mit neuem Gelächter, so dass der Fragesteller mit der Feststellung: „Ihr seid ja blöd!“, die Sache aufgab. Wenn ich daran denke, bekomme ich heute- nach mehr als 30 Jahren- noch einen Lachkrampf, wenn ich mir das dumme Gesicht vorstelle. So war es auch eben.
Kapitel 6: Wie es bei mir weiterging
Das wird viele nicht interessieren, denn was stört einen fremder Jammer. Die können hier aufhören. Für den Rest noch ein paar Dinge, die damals eben auch zum Fallschirmspringen gehörten bzw. einem die Sache doch etwas verleiden konnten.
Ich machte natürlich weiter, jetzt unter Kuddels Kommando, allerdings aus den bereits genannten beruflichen und familiären Gründen doch mit etwas angezogener Handbremse.
Das ging so bis Ende 1975, als mich zum ersten Mal eine Kadersperre traf (seit 1962 brauchte man als FS- Springer eine gesonderte Zulassung, die jährlich erteilt wurde). Dazu muss man wissen, dass im Herbst jenes Jahres ein Stralsunder Motorflieger von Neustadt aus mit einem Motorflugzeug die Fliege gemacht hatte. Sein letztes Lebenszeichen war die Anmeldung beim Tower Hamburg –Fuhlsbüttel per Funk. Es mag etwa um die gleiche Zeit gewesen sein, als ein Interflugmechaniker nebst Familie per Mistflieger in die BRD „übersiedelte“. (Das Fernsehen brachte nach der Wende eine Verfilmung dieser Geschichte).
Auf jeden Fall begann so eine Art „Christenverfolgung“, d. h. die Suche nach irgendwelchen unsicheren Kantonisten, zuerst natürlich in der Heimatsektion des Entflohenen, in Stralsund. Ich wohnte damals dummerweise auch in Stralsund und da ich ja irgendwo meinen GST- Beitrag bezahlen musste, war ich dort eben zahlendes Mitglied, mehr aber auch nicht, denn ich sprang ja in Neustadt. Bei dieser Durchforstungsaktion blieb ich auf der Strecke, ebenso ein Motorflieger (Fritz Gaikowski). Weshalb weiß ich eigentlich bis heute nicht so richtig.
Dank der Fürsprache von Kuddel und von Heinz Wolff (Magdeburg, 1975/76 im ZV der GST für Fallschirmsport zuständig) wurde ich allerdings Mitte 77 sozusagen begnadigt und konnte die nächsten beiden Jahre wieder springen. Als meine Mutter aber 1979 nach Westberlin ausreiste, war dann aber endgültig Schluss. Nach den damaligen Regeln war eine Verwandte 1. Grades im Westen ein absolutes Ko- Kriterium.
So war für mich nach rund 20 Jahren die Springerei erst mal zu Ende. In dieser Zeit hatte ich es auf lediglich 545 Sprünge gebracht.
Bis zur Wende brauchte ich über eine Fortsetzung der Springerei nicht einmal nachzudenken. Es vergingen dann aber noch 3 Jahre ehe ich 1993 mal wieder auf den Platz nach Neustadt kam. Natürlich flammte die alte Liebe wieder auf und brennt nach wie vor noch ziemlich heiß. Wenn es nach meinen Wünschen geht, müsst Ihr mich auch noch eine Weile ertragen.
Teil II Es entwickelt sich (1970 bis 1979)
Wieder eine Einleitung
Nach rund 7 Jahren soll es nun endlich weitergehen! Kuddel- seit einem Jahr auch Rentner- und ich, wir haben uns neulich zu einem „Brainstorming“ bzw. wie man früher sagte, einer Redaktionssitzung zusammengesetzt und beschlossen, in einem zweiten Teil erst mal die Zeit bis zur sogenannten „Zentralisierung“ Ende 1979 abzuhandeln. Hinter diesem eigentlich harmlos klingenden Begriff verbirgt sich eine Situation, in der das Schicksal des Flugsports (und damit der Springerei) in der DDR auf der Kippe stand. Doch dazu später mehr. Der letzte Abschnitt bis zur Wende wird dann irgendwann Teil III werden, aber wohl erst im nächsten Winter.
Die Reaktionen auf den ersten Teil waren ja durchweg positiv. Offenbar hat er (der erste Teil) für etwas Heiterkeit gesorgt, was- neben der Vermittlung der Historie- der eigentliche Zweck der Geschichte war. Proteste wegen zu negativer Darstellung einzelner Personen oder herabwürdigender Kritik gab es nicht. Das beruhigt mich, denn schließlich war es zu keinem Zeitpunkt meine Absicht, jemand zu beleidigen und zu verletzen.
Außerdem ist das mit der Kritik so eine Sache: Bekanntlich kann man leichter die Qualität von Eiern beurteilen, als selbst welche zu legen. Dabei kann man sich nämlich ganz schön den Arsch aufreißen. Vertreter der Spezies: „Von nichts eine Ahnung aber zu allem eine Meinung“, sind heutzutage nun mal nicht selten. Ich möchte nicht dazu gehören.
Die Beschränkung auf den o.g. Zeitraum ermöglicht mir- natürlich mit Kuddels ausdrücklichem Einverständnis- erst mal die Form der Ich- Erzählung beizubehalten, denn es handelt sich um die 1970er- Jahre, in denen ich mit einer kurzen Unterbrechung noch selbst dabei war.
Es ist aber klar, dass die wesentlichen Informationen/ Erinnerungen von auch Kurt stammen, der ja in dieser Periode Oberinstrukteur Fallschirmsport und damit der Chef in Neustadt war. Ohne dessen tätige Mitarbeit ginge es nicht. Sein Anteil liegt weit über 50%. Ich bin – wie man auf Neudeutsch sagt- eigentlich nur der „Ghostwriter“. Auch wenn es sich so ähnlich anhört, ist damit nicht ein Geisterreiter sondern derjenige gemeint, der für einen Promi die Sache zu Papier bringt, der dafür selbst zu dusselig ist, wie z.B. für -sagen wir mal- Boris Becker. Der Promi ist in diesem Falle Kuddel, der aber durchaus selbst lesen und schreiben kann. Aber ich will diesen Vergleich nicht weiterspinnen, sonst haut mir der ehemalige OI FS der Nordbezirke aufs Maul, und das zu Recht.
Wegen der vor allem in diesem Punkt ausdrücklich positiven Reaktionen werde ich den etwas locker und flockigen Stil nicht ändern. Abweichend zum 1. Teil hat sich das aber Autorenkollektiv entschlossen, den Text etwas klarer nach Jahreskapiteln zu gliedern, was Kuddels exzellenter Buchführung und auch eher dem Chronik- Charakter entspricht. Wir werden uns also Jahr für Jahr vorarbeiten, sozusagen am Faden der Ariadne entlang. Für den in klassischer Mythologie nicht so Bewanderten: Ariadne war Anno Dunnemals -also als die Griechen noch die Herren und nicht die Deppen des östlichen Mittelmeers waren- die Tochter des Königs Minos, der damals auf Kreta herrschte. Minos war ein ganz schlimmer Finger. Er hatte durch den Baumeister und ersten Flugzeugbauer und Flugsportler Dädalus ein Labyrinth erbauen lassen, in dem der Minotaurus hauste, ein blutrünstiger Kerl halb Mensch halb Stier. Weil Minos irgendwann vorher Athen besiegt hatte, mussten die Athener alle 9 Jahre 7 Jungfrauen und 7 Jünglinge abliefern, die dann als Verpflegung für den Minotaurus in das Labyrinth geschickt wurden. Bei der dritten Sendung mischte sich der Held Theseus unter die Opfer um die Sache endlich zu beenden. Den Theseus muss man sich wohl als Mischung von Supermann und George Cloony vorstellen. Er hatte nicht nur einen fürchterliche Faustschlag sondern auch Schlag bei den Frauen. Ariadne verliebte sich auf den ersten Blick in ihn und schenkte ihm neben ihrer Gunst auch ein Wollknäul. Das wickelte Theseus auf dem Weg durch das Labyrinth ab, schlug dem Minotaurus auf die Glocke, das er alle Viere von sich streckte, führte seine Gefährten am Faden entlang aus dem Irrgarten und machte sich mit Ariadne davon, die er aber bald darauf sitzen ließ. Vor allem auf die tollen Kerle ist eben kein Verlass. Um nun aber wieder zu unserem Thema, dem Flugwesen zurückzukommen: Damit Dädalus den Bauplan des Labyrinths nicht ausplaudern konnte, verweigerte Minos ihm das Ausreisevisum, worauf sich D. den ersten Flugapparat bzw. Flügel baute und mit seinem Sohn Ikarus davonflog. Dass letzterer, obwohl er gegen den eindeutigen Flugauftrag verstieß und den ersten überlieferten Flugunfall herbeiführte, und nicht sein Vater, in Fliegerkreisen als Held gefeiert wird und dazu noch Namensgeber für eine ungarische Busmarke wurde, ist eine Ironie der Geschichte.
Auf die Garnierung des reinen Berichts mit den diversen Storys werde ich /werden wir auch im 2. Teil nicht verzichten. Sie sind ja das Gewürz, das die dröge Kost der reinen Historie erst schmackhaft macht. Bei der Beurteilung der damaligen Ereignisse muss man zweierlei berücksichtigen:
Erstens, man berichtet im Zeitraffer. Da man die ereignislosen Phasen übergeht, wird der Eindruck vermittelt, dass ständig etwas Außergewöhnliches passierte.
Zweitens muss man sich vor Augen führen, dass die Masse der Akteure damals im Alter von 16 bis 18 Jahren war. Eine Horde derartiger Schwachköpfe zu hüten, die jede freie Minute dazu nutzten aus purem Übermut und Lebensfreude irgendwelchen Unfug zu verzapfen, war eine fast unlösbare Aufgabe, zumal die Älteren keinen Deut besser waren. Da konnte am Schluss nur Mist herauskommen.
Aber wenn man ehrlich ist, hat sich daran eigentlich nichts geändert. Auch heute ist der Verein für den Außenstehenden eine Ansammlung teilweise unberechenbarer Chaoten. Wie bekloppt muss man auch sein, um aus einem flugfähigen Flugzeug zu springen und das am Schluss noch gut zu finden!
Nun ist aber Ende der Vorrede, gehen wir nun aber wieder „in medias res“ wie wir Lateiner sagen, was aber nichts anderes bedeutet, als dass es jetzt mit dem zweiten Teil endlich losgeht.
Kapitel 1: 1970 Mariannes Abgang
Nach Durchsicht von Kuddels Unterlagen und Gedächtnis ist klar, dass Marianne Oestereich erst 1970 zur Parteischule ging und das zum 01. September. Im ersten Teil stand hinter diesem Termin noch ein Fragezeichen. (Für die unwissende Mehrheit zu dem heute unbekannten Problem der Parteischule: Alle SED- Mitglieder die für höhere Posten im sogenannten Staatsapparat und den Betrieben vorgesehen waren- das galt auch für solche, die anatomisch ohne Glied waren wie Marianne- mussten irgendwann die Bezirksparteischule durchlaufen und zwar für ein Jahr. M. war eben 1970 dran).
Im Nachhinein muss man sich allerdings fragen, wer diese Wahl zu verantworten hatte und wie viel Promille in dem Moment dessen Urteilsfähigkeit beeinträchtigten. Hannes war ein netter Kerl und guter Kumpel, andererseits aber die personifizierte Disziplinlosigkeit und von daher für den Posten eines Oberinstrukteurs der GST, die als vormilitärische Organisation gerade Werte wie Disziplin, Ordnung und zackiges Auftreten auf ihre Fahnen geschrieben hatte, denkbar ungeeignet. Man machte irgendwie den Bock zum Gärtner. Das betraf aber ausdrücklich nicht die Springerei sondern eher das Drum und Dran.
Ich kannte ihn- wie im Teil I berichtet- schon von der Armee her. Er war allerdings doch nicht in unserer, sondern der benachbarten Nachrichtenkompagnie: Deren Leute trugen die gelben Litzen der Nachrichtentruppen an Schulterstücken und Kragenspiegeln und gehörten damit zu den sogenannten „Ohrenabschneidern“. (Diese Bezeichnung geht auf ein Gerücht zurück, das ein Nachrichtensoldat bei einer Kneipenschlägerei einem Flieger mittels kaputtem Bierglas ein Ohr abgeschnitten hätte. Wie das mit Gerüchten so ist: Keiner wusste wann, wo und ob die Sache überhaupt stattgefunden hat, aber jeder nahm sie für bare Münze.)
Ob er auch mit mir zusammen 1959 in Drewitz mit der Springerei begonnen hat, weiß ich nicht mehr, glaube ich aber eher nicht.
An dieser Stelle ist es durchaus erforderlich ein paar (lobende) Worte über Marianne zu verlieren. Sie war 1962 auf dem Platz in Güstrow aufgetaucht, wo sie an der Ingenieurschule für Landwirtschaft in Güstrow- Bockhorst studierte, ein stämmiges Mecklenburger Bauernmädchen aus Alt Sammit, einem idyllischen Dorf bei Krakow am See. Die Ingenieurschule saß übrigens (und sitzt immer noch) in den Gebäuden der Fliegerschule der Luftwaffe, die etwa 1935 errichtet worden waren.
Marianne muss dann bald ihren Lehrer/Lehrerin gemacht haben, denn 1964 erfüllte sie in den Augen der Oberen offenbar schon die Voraussetzungen, die man an einen hauptamtlichen Oberinstrukteur für die Nordbezirke mit Sitz in Neustadt- Glewe stellte. Die Tatsache, dass sie weiblichen Geschlechts war, kam ihr durchaus zu Gute. Frauen- soweit es nicht zu viele waren- machten sich in der DDR oder im „sozialistischen Lager“ immer gut (Beispiel: Valentina Tereschkowa). Das mit dem Oberinstrukteur bewältigte sie dann auch erstaunlich clever, trotz relativer Jugend und nicht allzu großer Erfahrung. Sie hielt den Laden weitgehend reibungslos am Laufen. Mehr konnte man nicht erwarten. Da wir gerade bei den Personalien sind: Im Juli 1970 machte Hartmut (Hubsi) Beutler seinen ersten Sprung, dem in den nächsten mehr als 30 Jahren noch sehr viele folgten (s. auch Bild 25). Leider ist er wohl endgültig zu den Motorschirmen übergelaufen ist. Hartmut gehörte zu der Anklamer Truppe, die bis zu dem tragischen Unfall 1968 unter dem „Kommando“ von Paul Trautner und Klaus Helms stand (s. Teil I). Dabei war er nicht der einzige, der aus der Ecke Anklam/ Pasewalk kam. Neben Hartmut fallen mir noch ein: Eckard Pagels (s. Bild 23), genannt der Seemann (er fuhr bei der Seereederei und bracht von seinen Fahrten mal das eine oder andre scharfe Pornoheft mit) und dann noch Siegfried „F…k“- Finke (Bohrarbeiter bei Erdöl Grimmen) ein, dessen Spitznamen man aber aus Gründen des Jugendschutzes hier nicht ausschreiben darf, der aber darauf anspielte, dass er alles nahm, was Haare hatte, außer wie man so sagt, Kokosnuss und Tornister (s. Bild 21). Die beiden letztgenannten verschwanden nach 4 oder 5 Jahren in der Versenkung. Ausgebildet hatte die Truppe der schon im ersten Teil genannte Klaus Weigelt, der in der Zwischenzeit die Lehrerlizenz gemacht hatte und in den nächsten beiden Jahren noch in dieser Funktion aktiv war. Dann verliert sich auch sein Schicksal in den Weiten Vorpommerns.
Der Seemann hat übrigens Kurt ungewollt und ohne böse Absicht richtig „einen gemacht“, d. h. ihm fettes Problem beschert. Als freundlicher Mensch schrieb er bei einem Reeperbahnbesuch in Hamburg eine Ansichtskarte und adressierte sie an Herrn Kurt Abramowski in Neustadt- Glewe. Sie wurde bei der obligatorischen Postkontrolle der Stasi natürlich aussortiert und die Sache überprüft, was zu einem „Ermittlungsverfahren“ seitens des Bezirksvorstands der GST in Schwerin führte, von wegen verschwiegener Westverwandschaft und so. Kuddel hatte ziemlich zu rudern, die Sache zur Zufriedenheit der Obrigkeit aufzuklären. Zu solchen Problemen konnte man damals schneller kommen, wie die viel zitierte Jungfer zum Kind.
Einer der damaligen Sprungschüler war übrigens oder eventuell ein gewisser Kuhnt aus Rostock, der später bei den Fallschirmjägern ein höheres Tier war (Major, Oberstleutnant oder so). Dem einen oder anderen Altgedienten ist der Name evtl. noch geläufig. Er war voriges Jahr beim Traditionstreffen dabei, evtl. war es auch schon im Jahr davor.
Kommen wir nun aber endlich zur Sache: 1970 liefen also die üblichen 4 oder 5 Wochenlehrgänge in Neustadt. Lehrer waren (neben Marianne) Kalle, Rudi Warmbier, Klaus Weigelt und ich, dazu auch mal der eine oder andere „Gastdozent“ aus Magdeburg und Berlin. Für die Durchführung eines Sprungbetriebes musste man damals immerhin 4 Funktionen besetzen, nämlich: 1.Sprungleiter, 2. Lehrer am Start, 3. Lehrer am Landeplatz, 4. Absetzer. Geregelt wurde die ganze Sache durch die FSBO (Fallschirmsprungbetriebsordnung).
Es gab einen richtig schönen Startaufbau mit ausgerichteten Packplanen und einer quer dazu liegenden Abstellplane, auf der die Schirme startweise aufgestellt wurden.Das ist die beste Gelegenheit für eine persönliche Geschichte, nämlich wie ich von der Existenz des Übersinnlichen überzeugt wurde. Es war vor dem Sprungbetriebsbeginn oder in der Mittagspause und der Startaufbau erfolgte - wie üblich- nahe dem Sandkasten, der damals noch in der NW- Ecke des Platzes lag. Die Schirme standen in der geschilderten Art in Reihe und Glied. Aus irgendeinem Grund hatte Kalle sich mit irgendjemand in die Wolle gekriegt. An den Grund kann ich mich wirklich nicht erinnern, es kann aber nichts Schwerwiegendes gewesen sein. Zwar flogen nicht die Fäuste aber doch das eine oder andere harte Wort. Welche Beleidigungen es gab, weiß ich auch nicht mehr. Irgendwann hatten die Kontrahenten aber ihr Pulver verschossen und es folgte- wenn auch nach beträchtlichem Gebrummel auf beiden Seiten- die Versöhnung. Die Sache hatte sich also erledigt, als nach vielleicht einer halben Stunde Ingrid, Kalles Frau mit dem familieneigenen PKW vom Typ Wartburg 312 vorfuhr. (Richtig, es war der den Kalle angeschossen hatte oder noch anschießen würde). Der Wagen hielt an, Ingrid stieg aus, ebenso Hexe, Kalles kleiner schwarz/weiß-gefleckter Dorfköter. Der lief zielgerichtet die Abstellplane mit vielleicht 30 oder 40 abgestellten Schirmen entlang. Am Gerät von Kalles „Gesprächspartner“ blieb er stehen, hob er das Bein und pisste zum Zeichen seiner Verachtung an dessen Ersatzgerät. Woher konnte der kleine Stinker das wissen? Zum Zeitpunkt des Streites befand er sich mindestens 50 km vom Ort des Geschehens entfernt. Es muss also so etwas wie Telepathie geben, denn Handys und Smartphone zur drahtlosen Gedankenübermittlung gab es damals noch nicht. Seitdem glaube ich an das Wirken höherer Mächte (s. Bild 20).
Wahrscheinlich hatten wir damals schon eine Antonow, die wir uns aber mit den Magdeburgern teilen mussten: Meistens flog zu dieser Zeit der bereits im ersten Teil erwähnte Wilhelm Lienemann, der mit dem Holzbein. Dieses Holzbein war mal der Grund einer außerplanmäßigen Pause im Sprungbetrieb weil es plötzlich hakte oder klemmte. Aber wir hatten ja überall unsere Leute. Der in der Fallschirmjägerkameradschaft sehr aktive Kamerad Powells arbeitete in Ludwigslust als Orthopädie- Schuhmacher. Also Sprungbetrieb unterbrochen, ins Auto gesetzt, mit Wilhelm nach Lulu gefahren, dort das Bein gedengelt und schon konnte es weiter gehen. Neben dem schon erwähnten Deumeland, flog häufig auch Stamsky, ebenfalls Magdeburg.
Zusätzlich zum üblichen Sprungbetrieb gab es in jenem Jahr auch einige springerische Höhepunkte. So flogen wir am Pfingstsonntag (es war der 17.05) nach Teterow, wo wir aus Anlass der Eröffnung des Bergrings in den Innenraum sprangen. Es gab also auch damals schon Demo- Sprünge. Das Demo- Team setzte sich aus den Lehrern und Lizenzern zusammen, die gerade bei der Hand waren. Die Sache in Teterow lief reibungslos, d. h. alle trafen den Innenraum.
Einen weiteren derartigen Demo- oder wie man damals sagte „Vorführungssprung“ gab es nach vorliegenden Unterlagen (Sprungbuch Kurt) am 15.08. in Pinnow. Anlass war die I. Wehrspartakiade der GST, worunter man sich so eine Art DDR- Meisterschaft für vormilitärische Disziplinen vorstellen muss. Die Neustädter Truppe, die die Nordbezirke vertrat, soll den letzten Platz belegt haben. Einer der „loser“ oder Verlierer (und damit möglicher Zeuge) war angeblich Rüdiger „Otto“ Schulz der aus Blievenstorf stammt, viele Jahre als Lehrer für FS tätig war und im September zum Treffen der alten Kameraden immer noch den einen oder anderen Rundkappensprung macht (s. nochmal Bild 28).
Der dritte Höhepunkt fand zum Saisonende, also im Oktober 1970 statt, war allerdings eher inoffiziell und verstieß sogar gegen die FSBO. Es könnte deshalb durchaus sein, dass er auf eine Idee von Hannes Stübner zurückging. Kurz, es wurde beschlossen, beim letzten Start (nur Lehrer und Lizenzer) am östlichen Platzrand rauszugehen und nicht das Zielkreuz sondern den Dorfkrug in Blievenstorf anzusteuern und dort den erfolgreichen Saisonabschluss durch eine ordentliche Sauferei zu feiern. Gegen diesen Beschluss gab es naturgemäß wenig Widerstand. Die Sache war auch nicht sonderlich kompliziert, denn der Wind stand günstig und zwischen Kneipe und Wald gab es eine ausreichend große Landefläche. Wie beschlossen, so ausgeführt! Es ging auch alles glatt. Bis auf einen Magdeburger landeten alle vor bzw. hinter der Kneipe. Der hatte beim Briefing wohl gepennt oder war gar nicht dabei gewesen und versuchte krampfhaft noch das am anderen Platzende gelegene Zielkreuz zu erreichen, was aber nicht gelang.
Da Saufen nicht meine Lieblingsdisziplin war (und immer noch nicht ist), hatte ich mich breitschlagen lassen, den verantwortungsvollen Posten des Sprungleiters zu übernehmen und die Trinker dann zu späterer Stunde und in angeschlagenem Zustand mit dem LKW vom Typ S 4000 in Blievenstorf abzuholen.
Wie gesagt hatte Hannes seinen Job im September oder Anfang Oktober angetreten und sich im ersten Zimmer rechts in dem flachen Teil des damaligen Hauptgebäudes eingenistet.
Eine der ersten Amtshandlungen war dann die Herstellung eines einwandfreien (West)-Fernsehempfangs. Hannes hockte vor seiner Flimmerkiste, Butschi Lachner (s. Bild 23) gab am Fenster die Kommandos weiter und auf dem Dach drehte Helmut Pieske die Antenne auf Lüchow- Dannenberg bzw. Höhbeck (Standort des Sendmastes des Westfernsehens), das alles bei Dunkelheit. Als das Bild stand brüllte Butschi rauf: „Kannst runterkommen“. In diesem Moment stand Helmut schon im Lichtkegel des Fensters im Rosenbeet und ohne eine Miene zu verziehen und seiner trockenen Art sagte er: „Da bin schon!“ und auf ihn regneten die Bruchstücke der Plastedachrinne herab. Er war nämlich immer dichter an die Dachkante gerückt, hatte aber nicht daran gedacht, dass die letzten Zentimeter Dachrinne und nicht mehr Pappdach waren und schon ging’s abwärts. Zum Glück war es- wie gesagt- der flache Teil, so dass Helmut weitgehend heil blieb.
Das Westfernsehen sorgte noch mal für große Heiterkeit und das kam so: Kurbjuhn der Chef des Flugsports der Nordbezirke wollte am Wochenende mal in Neustadt auf dem Platz nach dem Rechten sehen. Seinen etwa 6- Jährigen Sohn (evtl. auch schon Enkel) hatte er dabei. Dummerweise erwischte er einige von unseren Schülern im Klubraum auf dem falschen Kanal. (Hier muss ich kurz unterbrechen und darauf hinweisen, dass ich damals in Stralsund und damit dem Tal der Ahnungslosen wohnte, also dem Teil der DDR ohne Westempfang, mich mit dem Westprogramm also nicht auskannte). Er machte natürlich einen riesigen Terz. Wir mussten die ganze Truppe antreten lassen und er hielt einen längeren Vortrag über die Schädlichkeit des Westfernsehens. Als er gerade so richtig dabei war, kam sein Sohn/Enkel und zupfte ihn am Hosenbein: „Was ist?“. Darauf der Kleine: „Papa/Opa, wir müssen nach Hause, gleich fängt „Am Fuße der blauen Berge an!“ Erst verstand ich den Grund des nun ausbrechenden Gelächters nicht, ich kam ja aus dem Tal der Ahnungslosen. Dann fiel aber auch bei mir der Groschen.
Ich glaube, das war der richtige Schluss für diese Kapitel!!
Kapitel 2: 1971 Unter Feuer
Man könnte dieses Kapitel auch mit „Pleiten, Pech und Pannen“ überschreiben, weil sich während eines Lehrgangs- es war die Himmelfahrtswoche, also Mai- als sich derartige Vorkommnisse in beängstigender Weise häuften. Wenn es mal kommt, dann kommt es ganz dicke. Das Sprichwort, dass der Teufel immer auf den größten Haufen scheißt, könnte man auch heranziehen, obwohl dort Reichtum und nicht Pech gemeint ist. Aber Pech gilt das erst recht.
Alles begann damit, dass ein Sprungschüler aus Schwerin (Name?) zu faul war, einen kleinen Umweg durch das Tor zu machen. Wahrscheinlich wollte er in den KONSUM der nahegelegenen Lieps- Siedlung um bei Mutter Zacharias das eine oder andere Fläschchen Hochprozentigen für den Abend einzukaufen Er kletterte hinten über den Zaun (damals hölzerner Scherengitterzaum). Als er den Fuß aufsetzte um drüberzusteigen, brach die Latte, der stehengebliebene Rest bohrte sich in seinen Oberschenkel und durchbohrte ihn sogar. Er hing auf dem Zaun wie ein Gummiadler auf dem Bratspieß. Mächtiges Geschrei, viel Blut, komplizierte Bergung. Kleine Sünden straft der liebe Gott eben umgehend!
Dann leisteten nach meiner Erinnerung die Motorflieger ihren Beitrag zur Pannenserie: Erst zog ein Flugschüler nach erfolgter Landung das Fahrwerk bei einer Jak- 18 ein, was einen Bauchrutscher zur Folge hatte, anschließend rollte ein Kunstflieger über einen gut getarnt abgestellten Feuerlöscher und demolierte sich die teure Verstellluftschraube.
Richtig kritisch wurde es aber am Himmelfahrtstag, als wir unter „friendly fire“ gerieten. Die Flugsperre an diesem Tag (Flugsperren waren damals häufig, vor allem an Tagen mit gutem Wetter) sollte zu einer großen Putzaktion an der Antonow genutzt werden. Unter Aufsicht des Mechanikers (Christian Gelfert aus Magdeburg) turnten diverse Sprungschüler in und auf der Maschine herum und brachten diese auf Hochglanz. Auf der oberen Tragfläche saß ein gewisser Meier, ein großer blonder schlaksiger Kerl, der aus Schwerin stammte. Die Anna stand auf der Abstellfläche vor der Giebelseite der alten Ziegelhalle. Während man fleißig putzte, knallte es immer so komisch an der Rückseite der Halle und vor allem an der benachbarten Holzhalle, als wenn jemand mit Steinen gegen die Wände werfen würde. Das wurde langsam nervig, so dass Christian zwei Mann um die Ecke schickte mit dem Befehl, den Steinewerfer einzufangen und kräftig in den Arsch zu treten. Aber es war kein Arsch da, in den man hätte treten können. Ganz große Fragezeichen!! Plötzlich tat es einen weiteren Schlag und Meier fegte aus großer Höhe auf den Beton der Abstellfläche, was er aber wegen guter Vierpunktlandung ohne größere Schäden überstand. Allerdings hatte er am Oberschenkel eine gewaltige Prellung. Die Fragezeichen wurden immer größer, zumal Meier behauptete angeschossen worden zu sein!! Christian kletterte auf die obere Fläche und tatsächlich, es gab ein kleines Loch wie einen Einschuss. Natürlich erst einmal ans Telefon und die Sache den Genossen der Volkspolizei gemeldet, danach nochmalige Inspektion durch den damals zuständigen Obertechniker Hans Stapel (der gleichnamige Assistent von Johann, Hansi Stapel jun. ist dessen Sohn).
Hans Stapel sen. schnitt die Bespannung auf und förderte ein Geschoss des Kalibers 7,62 X 39mm (Kalaschnikow) zu Tage, allerdings leicht deformiert.
Die einzigen Schützen weit und breit, waren die Mitglieder der Betriebskampfgruppe (Kampfgruppe = DDR-Volkssturm) des Lederwerkes namens „August Apfelbaum“ die auf ihrem Schießstand auf oder am Betriebsgelände herumballerten. Man hörte in der Ferne die Knallerei.
Also noch mal die VP angerufen, die auch bald vor Ort erschien, begleitet von den Kampfgruppenchargen. Diese brüllten natürlich gleich herum. Es fielen harte Worte, die man hier wegen möglicher minderjähriger Leser nicht wiederholen kann, die aber in der Ankündigung endeten, dass die Sache für die Kameraden vom Flugplatz wegen übelster Verleumdung ein ganz böses Nachspiel haben würde. Das Geschrei verstummte allerdings schlagartig, als Hans Stapel das Geschoss präsentierte und zum verbalen Gegenangriff überging. Für die Kampfgruppe war damit- wie man so sagt- die Kacke am Dampfen. Allerdings weiß ich nicht mehr, welche Konsequenzen das für diese am Schluss hatte; kann aber auch sein, dass die Sache einfach unter den Teppich gekehrt wurde.
Im Verlaufe des weiteren Gespräches räumten die Kämpfer dann kleinlaut ein, dass sie aus Anlass des kirchlichen Feiertags ordentlich einen zur Brust genommen und in dem dadurch erzeugten Übermut, die leeren Flaschen auf den Schießwall gestellt hätten und da wäre wohl der eine oder andere Schuss eben danebengegangen. Es waren dann wohl doch ein paar mehr. Wie eine nachtägliche Zählung ergab, hatten allein 14 die Holzhalle getroffen und der 15. die Antonow und den Kameraden Meier. Das Geschoss hatte offenbar den Spant erwischt, war dort abgeprallt und hatte den Oberschenkel von M. getroffen, allerdings ohne Bums, so dass es nur zu einer fetten Prellung reichte. Es hätte aber schlimmer kommen können.
Die Antonow war schnell wieder einsatzbereit: Mit einer Zackenschere einen passenden Flicken ausgeschnitten und aufgeklebt, danach mit grüner Farbe übergestrichen und fertig war die Laube.
Das alles passierte innerhalb von zwei oder drei Tagen. Aber jede Serie hat mal ein Ende, so dass wir wieder zur normalen Berichterstattung übergehen können. Denn ansonsten war das Jahr recht erfolgreich. So ergab sich die für die GST außergewöhnliche Möglichkeit, auch mal aus 4000m zu springen. Die erforderlichen Sondergenehmigungen wurden selten erteilt. Schließlich brauchte die Anna – wie im Teil I bereits erwähnt- bis 4000m eine dreiviertel Stunde und dementsprechend viel Sprit. Meines Wissens gab es in jenem Jahr drei 4000m- Starts.
Im Jahr 1971 machte übrigens Barbara/Bärbel Buchholz ihren 1. Sprung. Bärbel ging dann bald zum Sportklub Dynamo und wurde in den 70er- und 80er- Jahren mehrfach Weltmeisterin im Ziel- und Figurensprung, dann schon unter dem Namen Harzbecker, denn sie hatte bald den Gerd Harzbecker von der GST- Auswahl geheiratet. Sie war wirklich ein Naturtalent mit großem Bewegungsgefühl, so lag sie vom ersten Freifallsprung an. Das war damals doch eher selten, da bei den anfangs kurzen Freifallzeiten von 5 oder 10“ der Abgang/ Exit über den Sprung entschied. Es dauerte wesentlich länger als heute beim AFF, bis es einem gelang, ein Gefühl für die Luft zu entwickeln und stabil zu liegen. Ihr Bruder fing auch an, musste aber nach einem sehr komplizierten Fußbruch bald wieder aufhören (s. auch Teil I).
Es mag auch in jenem Jahr gewesen sein, als ich auf dem Platz in Neustadt eine Begegnung der sehr unappetitlichen Art hatte. Um allen schmutzigen Fantasien von vornherein die Spitze zu nehmen: Es war ein Kuhfladen! Ein solcher gehört aber nicht auf den Flugplatz wird ein jeder sagen. Das ist richtig, aber ungewöhnliche Umstände erfordern ungewöhnliche Maßnahmen, die ungewöhnliche Folgen haben können. Der ungewöhnliche Umstand war ein sommerliches Elbhochwasser. Die Wiesen standen unter Wasser und die dort sonst grasenden Kühe waren sozusagen heimatlos und wurden nach Neustadt evakuiert, wo auf dem Platz ja genug Platz war, außerdem auch genug frisches Gras, denn es hatte zuvor ja gerade kräftig geregnet.
Mit dem Flugbetrieb gab es wenige Probleme. An den Wochenenden wurden eben die Viecher in eine Ecke getrieben, wo sie nicht störten und schon konnte es losgehen mit dem Fliegen und Springen. Lästig waren allerdings die zahlreichen Kuhfladen auch in der Start- und Landebahn. Die Maschinen sahen entsprechend aus und häufiges Putzen und Waschen war angesagt (s. o.). Aber irgendwann war das Hochwasser und damit auch die Kühe weg und es kehrten wieder Normalität ein, der Platz trocknete, das Gras und die Kuhfladen ebenso. Eines schönen (Sprung-) Tages landete ich mitten auf dem Platz, also außerhalb des Sandkastens. Als ich aufschlug und schon im Abrollen war, sah ich dicht vor meinem Gesicht ein besonders schönes Exemplar eben dieser Gattung, leicht angetrocknet und deshalb gut getarnt im trockenen Gras und mit gelben Schmeißfliegen garniert. Ich konnte nur noch den Kopf etwas zur Seite drehen und die Augen schließen, da lag ich schon in der Scheiße. Das rechte Auge war verklebt, das Nasenloch verstopft und die rechte Gesichtshälfte grün. Zwar versuchte ich mich noch notdürftig zu säubern, trotzdem war mein Malheur noch zu erkennen, als ich wieder in der Packzone auftauchte. Die Reaktion war ja klar, es gab große allgemeine Heiterkeit, mal wieder auf meine Kosten. So ist das Leben!
Im September hätte eigentlich Marianne wiederkommen müssen, nachdem sie ihr Jahr auf der Parteischule abgerissen hatte. Aber sie kam nicht, sondern ging zum DTSB nach Güstrow. Für diesen Wechsel soll es angeblich delikate/intime Gründe gegeben haben. Soweit die Gerüchte, aber eben nur Gerüchte. Da niemand die Kerze gehalten hat, decken wir den Mantel des Schweigens über unmittelbar die Beteiligten und die ganze Angelegenheit.
Ob Hannes wegen Ablauf eines auf ein Jahr begrenzten Vertrages oder wegen später Einsicht der Verantwortlichen zum Ende August oder September ausschied, ist auch nicht mehr zu ermitteln. Auf jeden Fall standen die Nordbezirke mal wieder ohne OI FS da.
Kapitel 3: 1972 Kuddel kommt
Dieser Zustand der Führungslosigkeit endete aber bereits am 16.01.1972. An diesem Tag trat Kurt Abramowski, genannt Kuddel, seinen Dienst als Chef des Fallschirmsports in den Nordbezirken an. Kuddel bewies Stehvermögen und hielt trotz aller Widrigkeiten wie z. B. der noch näher zu beschreibenden Zentralisierung, bis zur Wende durch.
Wie er berichtet, hatte der GST- Bezirksvorstand beschlossen, den erforderlichen Ersatz dieses Mal aus der ortsansässigen Bevölkerung zu rekrutieren. Zur Wahl hätten Helmut Pieske und er gestanden. Am Schluss fiel sie (die Wahl) auf ihn und er nahm das Angebot an.
Rosita hatte 1968 ihren ersten Sprung absolviert. Sie machte bis 1975 rund 150 weitere und hörte dann auf.
Gleichzeitig mit ihr begann Anita Feuereiß ihre Ausbildung. Sie war die Tochter des Bürgermeisters von Hagenow, der aber gleichzeitig Präsident des Rodelsportverbandes der DDR. Eine etwas ungewöhnliche Kombination, denn der höchste Berg in Hagenow misst höchstens 10m und ist für rasante Fahrten mit dem Rennrodel eher nicht geeignet. Des Rätsels Lösung. Bei Vater Feuereiß handelte sich um einen Thüringer Schluchtenjodler/Löffelschnitzer den es in den kühlen Norden verschlagen hatte. Anita machte ein paar Sprünge und verschwand dann aber bald wieder in der Versenkung. Kuddel war nun zwar Oberinstrukteur, aber noch kein Lehrer. Deshalb wurde er in jenem Mai zum Lehrerlehrgang abkommandiert, der um diese Zeit in Schönhagen stattfand. Weitere Teilnehmer waren lt. Kurt die schon Erwähnten Klaus (Alfredo) Pätzel (s. Bild 39) und Junker Tobias, außerdem zwei Mädchen, die in der Folgezeit auch mal in Neustadt als Lehrer/ Lehrerinnen tätig waren, nämlich Sabine (Schnattchen) Koske aus Dresden und Tanja Schneider (s. Bild 35), ausnahmsweise mal ohne Spitznamen. Was ich gar nicht mehr auf dem Schirm hatte, war die Tatsache, dass man ab Ende der 1960er- Jahre den Lehrer nur in zwei Etappen machen konnte. Nach dem A- Lehrgang musste man eine gewisse Zeit als Lehrer- Assistent Erfahrungen sammeln, bis man nach dem B- Lehrgang die „richtige“ Lizenz bekam. Kurt durfte- wegen der besonderen Umstände- die Sache ausnahmsweise in einem Ritt machen.
Von der Springerei her muss 1972 ein außergewöhnlich gutes Jahr gewesen sein. Ich finde in meinem Sprungbuch Eintragungen zu mindestens 4 Lehrgängen, allein zwischen April und August, insgesamt 48 Sprünge, was für mich doch eine Menge war und ist. Daneben gab es noch einen Lehrgang in Pinnow im Juli, auf dem Marianne mit einer von ihr ausgebildeten Truppe aus Güstrow auftauchte, wo sie seit dem letzten Jahr in der DTSB- Sportschule tätig war. Eine der Anfängerinnen war Astrid Wiese, die im nächsten Jahr den Oberfeldwebel Krause heiraten sollte, was sie zu diesem Zeitpunkt aber wohl noch nicht wusste.
Ein Jahreshöhepunkt war die erste Bezirksmeisterschaft der Nordbezirke am 20.08. im Zielsprung, bei der ich mich zwischen Willi Krause (Bezirksmeister) und Wolfgang (Butschi) Lachner auf Platz 2 einreihte.
Für Kalle gab es in jenem Jahr auch einen Höhepunkt: Für einen Tag war er der König seines Heimatorts Mestlin, das an einem Sonntag im Mai irgendein herausragendes Ereignis feierte. Ein Programmpunkt war die Landung der Neustädter Springer nahe dem Dorf. So war es auf jeden Fall geplant. Ich wäre gerne mit gesprungen, musste aber den Funk an der Landfläche übernehmen. Außer mir wäre nur noch Kalle für den Posten in Frage gekommen, aber es wäre doch unmenschlich gewesen, ihm seinen großen Auftritt zu versauen. Auf jeden Fall war der Bodenwind grenzwertig stark, so dass der Start mehrfach verschoben werden musste. Dann erschien endlich die Antonow über Mestlin, die Springer purzelten heraus und verteilten sich wegen des böigen Windes großräumig auf den südlich der Ortslage gelegenen Feldern. Anschließend war natürlich große Bambule mit entsprechendem Genuss geistlicher Getränke und Krönung des Dorfkönigs (s. o.).
Inzwischen war auch Hartmut Beutler beim Fallschirmdienst in Peenemünde gelandet, wurde aber für Lehrgänge in Neustadt meistens freigestellt.
Dass es mit der Springerei in jenem Jahr so gut lief, war teilweise auch den Magdeburgern zu verdanken, mit denen wir uns nicht nur die Maschine teilten, sondern die auch mit einer großen Truppe gern und häufig nach Neustadt kamen. Neben Heinz Wolf, dem damaligen aber 2012 verstorbenen OI FS Magdeburg waren vor allem Klaus Scheel (besser als Tünnes bekannt, s. o.)- der zweite hauptamtliche Fallschirmsprunglehrer- und das bereits im Teil I erwähnte Ehepaar Peter und Inge Langenhahn (zurück zu Bild 23) aus Pritzwalk oder Wittstock.Heinz Wolf (s. Bild 36) war gleichzeitig der Trainer der Nationalmannschaft der Komplexwettkämpfer, die aber tatsächlich der Bezirksauswahl Magdeburg entsprach. Kuddel und ich haben mal versucht, die Namen zusammenzukriegen, hier das Ergebnis: Horst Prellwitz, Ulli Marotzke, Jürgen (Plenty) Walter, Camillo (bürgerlicher Name?). Dieser Komplexwettkampf war ein militärischer Mehrkampf bestehend aus den Disziplinen Fallschirmspringen, Schießen, Schwimmen und Laufen, der im Rahmen der „sozialistischen Bruderländer“ sogar international war. Diese Jungs bereiteten sich in Neustadt auf entsprechende Meisterschaft vor. Als ich beim Lauftraining mal ungefragt meinen Senf dazugab, forderte Heinz Wolf mich auf, doch einfach mal mitzulaufen, was ich auch tat und hinter Prellwitz überraschend den 2. Platz belegte.
Wer mich nur in meinem heutigen Zustand der Körperfülle kennt, hält das für reine Angabe eines alten Mannes. Zeugen und Fotos werden bestätigen, dass ich damals 25 Kilo weniger auf den Rippen hatte und- wenn auch kein überragender- aber doch ganz passabler Läufer war. Meine ausgedehnten Waldläufe im Rahmen der Ausbildung erzeugten bei den Sprungschülern nicht gerade Freudenschreie. Aber genug Selbstbeweihräucherung betrieben, kehren wir wieder zur Geschichte zurück.
Eigentlich wären wir mit 1972 am Ende, aber ich will hier noch eine der üblichen Schnurren einfügen, in denen es meist um die Dussligkeit der damaligen Akteure ging. Das betraf leider nicht nur die Anfänger, die Lehrer und Lizenzer waren auch nicht viel besser. Ich weiß nicht mehr, was bei Wolfgang (Butschi) Lachner den Wunsch erzeugte, doch mal Feuer zu spucken. Auf jeden Fall stand er vor dem damaligen Unterkunftsgebäude mit dem Maul voll Benzin und einer brennenden Zeitung in der Hand. Wenn er das Benzin ausblies entstand eine eindrucksvolle Flamme von 1 bis 2m Länge. Als aber einer der Umstehenden eine blöde Bemerkung machte, musste er lachen, prustete los, besprühte sich selbst mit Sprit und stand plötzlich in Flammen. Zum Glück reagierte der vor ihm stehende Helmut Pieske sofort und richtig. Er öffnete seine Jacke, zog Butschi zu sich heran und löschte mit den Jackenschößen sofort die Flammen. Die paar Sekunden hatten aber ausgereicht, um ihm (Butschi) den Haarschopf und die Augenbrauen abzusengen, im Gesicht Verbrennungen 2. Grades und an den Fingern dicke Wasserblasen zu erzeugen, die wie Siegelringe aussahen. Der Spruch mit den kleinen Sünden und der sofortigen Strafe würde auch hier ganz gut passen. In der Ambulanz war dann natürlich nicht vom Feuerspucken, sondern von einer Verpuffung im Ofen die Rede und das bei 25° C mitten im Sommer.
Es gab aber noch einen zweiten Feuerzauber in jenem Jahr. Ort des Geschehens war die Sandgrube in der NW- Ecke des Platzes. (Sie befand sich etwa dort, wo heute die neue Halle steht). Für den Abend war ein großes Lagerfeuer geplant und dementsprechend ein riesiger Haufen Holz gesammelt worden. Als das mit dem Anzünden nicht gleich klappte, holte Beppo der Magdeburger Tankwagenfahrer einen Kanister Flugbenzin und dieselte damit den Holzhaufen ein. Das Ergebnis war eine gewaltige Verpuffung und abgesengte Haarschöpfe und Augenbrauen. Das hätte im wahrsten ins Augen bzw. die Augen gehen können. Noch mal Glück gehabt! Was den Beppo bzw. den Tankwagen betrifft, muss man wissen, dass zur Antonow auch ein eigener Tankwagen gehörte und zwar einer der berühmten sowjetischen Marke SIL ( gehe zurück auf Bild 13) mit grünem Tarnanstrich . Während die Maschine sich bei der Überführung durch die Lüfte schwang, kroch der SIL am Boden hinterher. So geriet er (der Tankwagen) einmal in der Nähe von Potsdam in eine Kolonne der Sowjetarmee. Als diese in die Kaserne einbog, wollte der Tankwagenfahrer eigentlich geradeaus weiterfahren, wurde aber vom Regulierer durch energisches Flaggenwinken aufgefordert, den anderen grünen Autos gefälligst zu folgen. Im Russenobjekt gab es dann natürlich erst mal Chaos, weil nicht ein Fahrzeug zu wenig, sondern eins zu viel war. Soweit die Geschichte eines unserer Neustädter Tankwagenfahrers, dessen Namen ich aber nicht mehr zusammen kriege.Nun aber Schluss mit 1972!
Kapitel 4: 1973 Neue Regeln
Im jenem Jahr erließ der Zentralvorstand der GST die berühmte AO (Anordnung) 6/73, durch welche die allgemeine Entwicklung der Springerei bis zur Wende entscheidend bestimmt wurde. Statt allgemeiner Lustspringerei stand von nun an ausdrücklich die Vorbereitung auf den Dienst in der NVA (Fallschirmjäger/ Fallschirmdienst) im Vordergrund. Neustadt d. h. die Nordbezirke hatte ein Soll von etwa 15 bis 20 Leuten pro Jahr, die auszubilden und bei der Armee „abzuliefern“ waren.
Die Kandidaten wurden von den Wehrkreiskommandos überprüft und ausgewählt, in der Regel im Alter von 16 Jahren. Um sich hinterher nicht mit ungeeigneten Bewerbern herumärgern zu müssen, wurden diese durch Kurt mittels eines vorherigen Sport- Test vorsortiert. Dieser bestand aus 8 Disziplinen und wurde deshalb landläufig 8er- Test genannt. Den musste man während der Armeezeit auch öfter mal absolvieren. Dazu gehörten unter anderem 3000m, Klimmzüge, Handgranatenweitwurf, Seilklettern. Den Rest kriege ich nicht zusammen.
1973- und nicht bereits 1967 wie von mir im Teil I fälschlich behauptet- endete die Ära des PD- 47 als Schülerschirm. Er wurde durch den RL-4/3c ersetzt, einem gutem Produkt aus Seifhennersdorf, der DDR- Fallschirmschmiede (s. Bild 25).
Versuche den PD schon vorher durch den tschechischen PTCH-C oder den schon seit 1970 im Einsatz befindlichen RS- 8 zu ersetzen, waren gescheitert: Der PTCH war zu schlecht und der RS für die Anfänger zu schnell. So musste man auf einen neuen Schülerschirm, den RS 3/4c eben bis zu diesem Zeitpunkt warten. Der bewährte sich aber so gut, dass er auch heute noch in Gebrauch ist, was man an den Rundkappensprüngen im Rahmen des jährlichen Traditionstreffens sehen kann.
Da wir schon bei der Fallschirmtechnik sind: Mitte der 1960er- Jahre war in den USA mit dem Paracomander ein neue Art von Sportfallschirm mit deutlich verbesserten Leistungen auf den Markt gekommen, der in der Folgezeit häufig kopiert und verbessert wurde. Hatte der RL- 3/5 einen Vortrieb von 3m/s waren es beim Paracomander 5 bis 6 m/s und man konnte auch besser bremsen. Die wesentlichen Unterschiede zu den klassischen Schlitzschirmen waren: das Material (beschichtetes Nylon) und die Zentralleine. Letztere zog die Polöffnung nach unten und führte zu einem tragflächenähnlichen Profil. Zog man beide Steuerknebel durch, klappte die vordere Kappenhälfte nach oben und die Luft strömte teilweise auch nach vorn aus, was zum besseren Bremseffekt führte. Wegen des luftundurchlässigen Gewebes war es möglich, bei gleichem Sinken die Kappengröße zu reduzieren. Hatte der RL-3/5 noch 64m², waren es bei den Nachfolgemustern rund 10m² weniger. Schirme unterschiedlicher Kappengröße waren damals noch nicht üblich. Die Dicken hatten eben Pech und bombten eben döller ein, als die Leichtgewichte.
Da für uns 1973 das letzte Jahr mit RL- 3/5 war, soll dieser hier noch mal ausdrücklich gelobt werden, wie ich es bereits im Teil I schon gemacht habe. Seit 1966 hatte er mir treu gedient und mich fast ohne Störungen sicher auf den Boden zurückgebracht. Einmal bescherte er mir allerdings eine Außenlandung. Da man bei 600m zog, hing man erst bei 500m am offenen Schirm. Ich war bei diesem Sprung eh schon ein wenig weit draußen und wäre gerade noch so auf den Platz gekommen. Als aber der Ring abriss durch den die Steuerleine lief, musste ich eine Weile fummeln bis ich den Ausreißer wieder einfangen konnte und vergeigte dabei entscheidende Höhenmeter. So landete ich in den Kuscheln am westlichen Platzrand. Die Landung war weich, die Bergung allerdings schweißtreibend da die Kappe auf mindestens 5 oder 6 kleinen Kiefern hing und im Wald mindestens 30°C und Windstille herrschte.
Für den Fall von Waldlandungen gab es eine „Gentleman Agreement“ mit dem zuständigen Revierförster. Alles was zur Bergung umgelegt werden musste, konnte ohne Rücksprache aber mit der nötigen Sorgfalt gefällt werden. Als der Förster aber zwei Sprungschüler dabei erwischte, wie sie einen Baum in Brusthöhe abgniedelten weil sie zu faul waren, sich hinzuknien oder zu bücken, gruben die beiden Übeltäter unter ständigem Maulen am Schluss den Stubben aus. Das nahm schon das eine oder andere Stündchen Freizeit in Anspruch.
Was gab es sonst noch Bemerkenswertes? Im Juni fanden in Neustadt die VIII. DDR- Meisterschaften im Segelflug statt, im August die mit großem Aufwand zelebrierte Hochzeit Willi Krause und Astrid Wiese (Trauung im Rathaus, Springerspalier in voller Montur und große Fete im Klubraum), außerdem verabschiedete sich Marianne in diesem Jahr endgültig von der Springerei.
Hier muss erwähnt werden, dass Kalle- neben der Springerei- ein zweites Hobby hatte und noch hat- die Jägerei. Damals war er wohl der größte Wildschütz nördlich des 38. Breitengrads. Mit Schießgewehr auf dem Rücken, seinem bereits erwähnten Hund Hexe in einer kleinen Holzkiste auf dem Rücksitz des Motorrollers vom Typ „Berlin,“ versetzte er die Tiere in Wald und Flur in Angst und Schrecken. Sogar sein eigenes Automobil Wartburg 312 war vor seinen Schüssen nicht sicher. Nun fragt sich der unbedarfte Leser, welche Rolle der Autotyp in diesem Zusammenhang spielt. Eine ganz entscheidende: Der 312 hatte nämlich ein stark gewölbtes Dach. Eines Tages fuhr Kalle mit dem Pkw in oder durch den Wald, als er plötzlich ein lohnendes Ziel erblickte. Er raus aus der Kiste, Flinte auf dem Wagendach aufgelegt, „Bumm“ „Bumm“ gemacht und sich zwei Riefen ins Wagendach geschossen. Er hatte wegen „Feuereifer“ die Wölbung des Daches nicht berücksichtigt.
Im jenem Jahr fand bei den Motorflieger übrigens eine große Verschrottungsaktion statt: Die Jak- 18 wurden eingestampft. Die Springer unter Kurts Kommando profitierten davon, indem sie die Triebwerke auseinandernahmen und nicht als billigen Mischschrott sondern als teureren sortenreine Aluguss usw. verhökerten. Die Einnahmen kamen der Vereinskasse zu Gute. Rümpfe, Flächen und Leitwerke wurden in die bekannte Sandkuhle gekarrt, mit reichlich Sprit übergossen und mittels Leuchtkugel abgefackelt. Da stehen wohl jedem heutigen Motorflieger die Tränen in den Augen, denn die Dinger waren flugfähig und würden heute weggehen wie Sauerbier. Aber so war das eben damals, weshalb weiß ich allerdings in diesem Fall immer noch nicht.
Kapitel 5: 1974 Neue Technik
Zu Saisonbeginn erwartete uns eine positive Überraschung. Neben neuen, handlicheren Ersatzgeräten vom Typ BE- 8 (heute würde man Brustreserve sagen) bekamen wir etliche PTCH-8 (s. Bild 26). Der PTCH-8 war die Antwort der Tschechen auf den Paracomander, mindestens so leistungsfähig wie dieser, wahrscheinlich sogar besser. Dass Dynamo und die GST- Auswahl inzwischen schon den noch besseren sowjetischen UT-15 sprangen, juckte uns nicht. Es war und ist normal, dass die Elite besser versorgt wird, als das Fußvolk.Schon mit dem RL-3/5 konnte man ordentliche Zielsprünge hinlegen, mit dem PTCH erst recht.
Wie das richtig zu laufen hatte, demonstrierten uns die Stars von Dynamo, dem Sportklub des VEB Horch und Guck, wie die Stasi im Volksmund auch genannt wurde. Die waren in jenem Jahr mal für eine Woche zum Training in Neustadt, unter ihnen auch Bärbel Buchholz, die zwei Jahre zuvor noch bei uns gesprungen war.
Die „Dynamos“ machten so ihre 10 Sprünge an einem normalen Tag. Sie schwebten bei idealen Bedingungen wie an der Schnur gezogen einer nach dem anderen ein und einer nach dem anderen traf den Nuller. Wir standen daneben und rissen vor Staunen den Mund auf.
Die Entwicklung zu immer schnelleren Schirmen hatte natürlich auch ihre negativen Seiten: Da bei Windgeschwindigkeiten bis 8m/s und mehr gesprungen wurde, die besten Schirme auch fast einen derartigen Vortrieb hatten wurde die Geschwindigkeit über Grund immer größer und man schlug ein wie eine V1. Die Reaktionszeiten wurden immer kürzer, die Verletzungsgefahr immer größer. Der Sandkasten war überlebenswichtig. Wenn man bei böigem Wind mal tatsächlich drüber fegte, gab es meist ein tolles Aua. So konnte es nicht mehr länger weitergehen. Der Gleiter und damit der Anflug gegen den Wind mussten kommen!
Neben dem Zielspringen bestand der Fallschirmsport noch aus einer zweiten Disziplin, dem Figurenspringen, also dieser Folge aus Drehungen und Saltos die heut wohl völlig aus der Mode gekommen ist. Es gab 3 Komplexe, die man zeigen musste: Den Rechts- Komplex (RLSRLS), den Links- Komplex (LRSLRS) und den Kreuz- Komplex (LRSLS). Die Reihenfolge wurde ausgelost. Gesprungen wurde aus 2000m. Die Cracks spulten so einen Komplex in weniger als 7“ ab, ich steifer Bock hatte zu tun, unter der zulässigen Maximalzeit von 12“ zu bleiben, was mir aber auch nicht immer fehlerfrei gelang. Um eine gute Zeit zu erreichen, musste man vor allem schnell sein. Dazu zog man die Knie unter das Ersatzgerät und die Hände neben die Ohren. Das erklärt das für die alten GST- Springer typische Problem, die Beine im Freifall wirklich lang zu machen.
RW war- wie gesagt- noch kein Thema, wurde aber gelegentlich außerhalb des offiziellen Programms mal probiert. So haben wir 1973-mal einen ungelinkten 6er gemacht, der sogar funktionierte. Aber so richtig war das eben kein Thema, weil keine Wettkampfdisziplin.
Außer neuen Schirmen bekamen wir auch zwei neue Lehrer. Hartmut Beutler und Rüdiger (Otto) Schulz beendeten in dem Jahr ihren B- Lehrgang. Beide waren- wie die nächsten Jahre zeigen sollten- eine echte Verstärkung. Hartmut hatte zwar noch ein Jahr beim Fallschirmdienst abzureißen, wegen des engen Kontaktes mit seinem Chef Willi Krause, war das aber kein Problem, er wurde einfach freigestellt.
Es gab aber auch mal den einen oder anderen Verlust. Der vom Herbst betraf zwar die Motorflieger, blieb aber nicht ohne Folgen für die anderen Sparten des Flugsports. Es geht um den Abflug des Stralsunder Motorfliegers Bader, den ich im ersten Teil schon abgehandelt habe. Zwar hatte ich zu dem überhaupt keine Verbindung, sollte aber Ende 1975 trotzdem ein Opfer der daraufhin einsetzenden Überprüfungswelle werden. Der Fall Bader war dann aber schließlich auch eine der Ursachen für die im Jahr 1979 über den Flugsport in der DDR hereinbrechende Unglück der Zentralisierung.
Wegen der Nähe zum Platz der Iwans in Parchim musste man sich bei Sprungbetriebsbeginn mit denen abstimmen. Das erfolgte über ein Feldtelefon, das anfangs in der Flugleitung, später auch im SKP (Startkontrollpunkt) stand. Die Abstimmung lief aber in der Regel ohne Probleme, wahrscheinlich besser als wenn man sich mit unseren Leuten von den Luftstreitkräften hätte einigen müssen, die doch sehr auf die Einhaltung von irgendwelchen Vorschriften bedacht waren.
Gelegentlich kamen sie (die Iwans) mit einem Mi- 8 rüber und sprangen bei uns mit. Die guten Verbindungen überdauerten sogar die Wende, was die Generalreparatur der Antonow in den frühen 1990er- Jahren in Weißrussland beweist.
Am Schluss noch eine der üblichen Storys. Die „Führungskräfte“ verbrachten ihre Abende häufig im „Theodor Körner“, dem damals „ersten Haus am Platz“. Dort gab es gutes und aus heutiger Sicht preiswertes Essen und auch das eine oder andere Bierchen. Wegen dieser Bierchen übernahm ich als weitgehender Abstinenzler freiwillig meist die Funktion des Chauffeurs. Geparkt wurde natürlich auf dem Markt.
Da der damalige Oberdorfgendarm Degenhardt- im Volksmund nur „Säbelweich“ genannt- im Eckhaus am Markt wohnte oder dort das Revier war, musste man bei der Rückfahrt vorsichtig sein, er konnte ja hinter der Gardine lauern. Ich stieg allein ein, fuhr hinter die nächste dunkle Ecke wo sich dann der Rest in den Wagen drängte. Meist waren das so 8 bis 10 Personen. Irgendwie ging das. Allerdings konnte ich nur lenken, kuppeln und Gas geben, den Schaltknüppel musste jemand anderes bewegen.
Während die Kameraden und –innen es sich „bequem“ machen und wir mit 30 km/h in Richtung Platz fahren, ist noch auf die Tatsache hinzuweisen, dass ab etwa 1965 das Objekt polizeilich bewacht wurde. Das Wachkommando bestand aus drei älteren Herren sowie dem jüngeren Wachtmeister Boetefuer aus Klein Laasch, von dem noch gleich die Rede sein wird.
Als wir dann an jenem Abend mit dem LADA vor dem Tor ankamen, war der Diensthabende Ewert (wohnhaft in der Lieps- Siedlung) entsetzt. „Ihr könnt doch nicht mit 9 Mann im LADA fahren!“, darauf H. Pieske: indem er die Kofferklappe von innen öffnete: „Weshalb 9? 10!“
Es muss im Sommer 74 gewesen sein als der eben erwähnte Boetefuer heiratete. Bevor ich die Geschichte aber erzähle, muss ich erwähnen, dass sich um diese Zeit ein Oberleutnant namens Ihde von den Aufklärern aus Schwerin auf dem Platz aufhielt, um bei uns ein paar Sprünge zu machen. B. wollte also heiraten, was bedeutete, dass am Tag zuvor Polterabend anlag. Schon am Nachmittag herrschte zwischen den üblichen Verdächtigen (Lehrer, Lizenzer, Besatzung) beträchtliche Unruhe, da ein Besuch in Klein Laasch natürlich Pflicht war. So wurde ich gefragt, ob ich denn das Einräumen der Schirme nach Sprungbetriebsende überwachen und ein Auge auf die Sprungschüler werfen würde, die für den Abend ein Lagerfeuer in der Sandgrube geplant hatten. Als ich zustimmte, war die Truppe ruck- zuck verschwunden.
Es ging alles seinen gewohnten Gang, als bereits nach höchstens zwei Stunden Bernhard Maak, besser bekannt als „Hase“, mir mit einem komischen Gesichtsausdruck mitteilte, dass der Oberleutnant zurückgekommen wäre. Diese Nachricht riss mich nicht vom Hocker, denn was ging mich dieser dusslige Oberleutnant an. Das änderte sich aber schlagartig als ich ihn (den Oberleutnant) auf Drängen von Hase in Augenschein nahm. Wenn einer richtig voll ist, sagt man auch „er ist stocksteif“. Das sah ich hier in Natura. Ihde lag mit starrem Blick wie eine hölzerne Puppe auf dem Bett und war nicht vernehmungsfähig. Das ließ für den Rest der Truppe Schlimmes ahnen. Ich trommelte die Schüler zusammen und wir starteten mit allen verfügbaren Mopeds und Motorrädern in Richtung Elde-Brücke bei Klein Laasch.
Im Wald- es war inzwischen schon etwas schummrig geworden- trafen wir auf Stamsky den Magdeburger AN- Piloten und seinen Mechaniker, den ebenfalls erwähnten Christian Gelfert. Die beiden irrten scheinbar orientierungslos in der Kieferndickung herum, also wurden sie eingefangen, auf den Sozius gesetzt und nach Hause transportiert indem links und rechts jemand nebenher lief und den Besoffenen stützte.
Am Hochzeitshaus angekommen offenbarte sich der ganze Jammer. Der Rest der Truppe war so sinnlos besoffen, dass der Rücktransport Stunden erforderte. Am nächsten Tag war erst mal Pause, da das gesamte Leitungspersonal außer Gefecht gesetzt war. Später stellte sich dann heraus, dass der Wachtmeister Boetefuer doch nicht so dussslig war, wie man landläufig annahm. Um die Suffköppe möglichst schnell außer Gefecht zu setzen, hatte er dem selbstgemachten Obstwein- für sich allein schon tödlich- noch Primasprit zugesetzt. Das erklärte alles.
Der Oberleutnant machte uns noch mehr Ärger. Nicht genug, dass er sich betrank, er spannte uns mit Sabine „Schnattchen“ Koske auch eine Lehrerin aus, die er – wahrscheinlich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen z. B. einer außergewöhnlichen Briefmarkensammlung- zur Mutterschaft und zum Eintritt in den Ehestand „überredete“. Auf dem Flugplatz erschein sie dann erst mal nicht wieder.
Zu Jahresbeginn 1974 hatte übrigens Ralf Brede mit der Ausbildung begonnen, der später auch für etliche Jahre hauptamtlicher FS- Lehrer war.
Kapitel 6: 1975 Großflugtag in Magdeburg
Das Jahr 1975 begann für mich/uns mit einem Sprung in Parchim auf dem Russenplatz aus Anlass des Tages der Roten Luftflotte oder irgendeines anderen militärischen Gedenktages der Sowjets. Vielleicht find ich im Keller noch einen alten Fliegerkalender aus DDR- Zeiten, der Aufklärung bringen könnte. Es war auf jeden Fall der 09.Mai. Anschließend waren wir dann im Offizierskasino zum Mittag eingeladen. Wahrscheinlich gab es die schmackhafte landesübliche Küche.
Was das „dienstliche“ Verhältnis zu den Iwans betraf, war das- wie bereits berichtet- relativ entspannt. Da hatte man es in der Regel mit Offizieren und Berufsunteroffizieren zu tun. Die einfachen Muschkoten spielten keine Rolle. Diese wurden von ihren Vorgesetzten ohnehin als reines Verschleißmaterial angesehen und auch so behandelt. Die armen Kerle konnten einem einfach nur leidtun. Es fiel auch dem überzeugtesten Funktionär schwer, zu erklären weshalb die Offiziere der Armee eines Landes, das nach eigenem Bekunden kurz vor der klassenlosen Gesellschaft stand, einen Burschen brauchten. Der kleine Iwan revanchierte sich dadurch, dass er alles verscheuerte, was nicht niet- und nagelfest war. (Besonders beliebt bei den Anwohnern waren die herrlichen dunkelblauen Segeltuchjacken mit Schaffellfutter, die sogenannten „Kraweikas“). Allerdings nahm er außerhalb der Kaserne auch alles mit, was sich irgendwie verwenden ließ.
Hier muss ich zu diesem Thema eine Geschichte einfügen, die Helmut Pieske erzählte: Helmut wohnte damals in Ludwigslust irgendwo auf der Rückseite des Russenobjekts in einer Vorstadtsiedlung, in der sich auch eine Sippe von Sinti und Roma (damals sagte man noch Zigeuner) angesiedelt hatte. Als eines Tages einige Angehörige der sowjetischen Streitkräfte über die Mauer kletterten und bei den Z…… etwas entwendeten, war der Sippenälteste aber richtig sauer: Es könne doch nicht angehen, dass nun schon die Z…. beklaut würden, das wäre doch gegen jede Regel und könnte nur das baldige Ende jeder staatlichen Ordnung und den Weltuntergang bedeuten.
Aber entschuldigt den kleinen Ausflug in die Völkerkunde, ich kehre jetzt wieder zur Springerei zurück. Höhepunkt jenes Jahres war zweifellos der Großflugtag in Magdeburg, der anlässlich Wehrspartakiade der GST stattfand.
Ich habe im ersten Teil schon darüber berichtet. Um dem Leser das Blättern bzw. Scrollen zu ersparen, habe die entsprechende Passage kopiert und hier noch mal eingefügt.
Im August 1975 war Großflugtag der GST in Magdeburg. Da wurde alles zusammengetrommelt, was fliegen und springen konnte. Ich will hier nicht über den ganzen Flugtag berichten, auch über nicht die Story mit dem Rauchkörper, den einer von den blöden Magdeburger über der Stadt in der Antonow zündete, sondern nur über eine Episode, die sich eigentlich am Rand abspielte, vor etwa 10 bis 20 Augen- und Ohrenzeugen.
Es war am Sonntag, dem Tag der eigentlichen Veranstaltung und zwar vormittags, dabei ziemlich dunstig. In Vorbereitung der Flugschau waren in einer Ecke bei der Halle die Experten dabei, mittels Theodoliten und Pilotballon (für den Nichteingeweihten: das ist ein Gummiballon von ca. 1m Durchmesser, ungefüllt sieht er aus wie ein Elefantenpräser) den Höhenwind zu bestimmen. Oberexperte war der allseits bekannte und beliebte Freund Vinzenz aus Karl- Marx- Stadt von dem schon im 5. Kapitelchen die Rede war.. Der erste Versuch ging schief. Es war das Problem der ostfriesischen Kriegsflagge: Weißer Adler auf weißem Grund. Wegen des tief liegenden Dunstes (s. o.) war der weiße Ballon bei 100 m schon nicht mehr zu erkennen. Flugs wurde sozusagen ein Arbeitskreis gebildet, der hier mögliche Lösungsvarianten diskutierte, selbst ernannter Vorsitzender war natürlich Vinzenz. Ich stand mit einigen anderen Nichtstuern nur so rum und wurde damit zum Zeugen des nachfolgenden Ereignisses. (Bevor ich weiter berichte, empfehle ich dem Leser eben auf dieses Kapitel 5 zurückzugehen um die dort gegebene Beschreibung von Vinzenz aufzufrischen, was nachfolgend von einiger Bedeutung sein wird, wobei noch zu ergänzen ist, dass er leidenschaftlicher Stumpenraucher war und einen solchen gerade im Mundwinkel hatte, gehe also noch mal zurück zu Bild 14).
Der Variantenvergleich endete damit- im Gespräch war zum Beispiel auch der Vorschlag, den Ballon einzufärben- dass Vinzenz seine Variante einstimmig annahm, die darin bestand einen Rauchkörper dranzuhängen, dann würde das schon klappen. Wie beschlossen- so ausgeführt. Der Ballon wurde gefüllt, der Rauchkörper drangehängt und in Startposition gebracht. Vinzenz zog noch mal an seinem Stumpen um richtige Glut zu erzeugen.
(Bevor er nun den Zünder in Brand setzt und die Ereignisse ihren verhängnisvollen Verlauf nehmen, muss auf einige grundlegende chemische Zusammenhänge hingewiesen werden, die V. in diesem Moment zum eigenen Schaden ignorierte: Wasserstoff + Sauerstoff= Knallgas, Knallgas + Feuer= Explosion). Und so kam es auch. Der Zünder zischte kurz, dann tat es einen gewaltigen Schlag. Vinzenz stand da, wie die Kuh wenn’s donnert. Seine runden Augen traten zentimeterweit aus dem Kopf und vor kindlichem Erstaunen stand sein Mund offen, ihn bewegte augenscheinlich ganz stark die Frage: „Was war das, wo ist er denn (der Ballon)?“.
Als nach einigen Sekunden der Stille klar war, dass der Betroffene- gleichzeitig auch der Verursacher- keinen größeren Schaden genommen hatte, gab es eine zweite Explosion. Die Umstehenden heulten vor Lachen auf, hielten sich die Bäuche und wälzten sich am Boden. Das ging minutenlang so weiter. Einen zusammenhängenden Bericht über das Geschehene zu erhalten, war für Außenstehende in den nächsten Stunden nicht möglich. Das hätten selbst die Jungs vom MfS in diesem Moment nicht geschafft. Schon auf die bloße Frage hin, was denn eigentlich geschehen wäre, antworteten die Zeugen mit neuem Gelächter, so dass der Fragesteller mit der Feststellung: „Ihr seid ja blöd!“, die Sache aufgab. Wenn ich daran denke, bekomme ich heute- nach mehr als 30 Jahren- noch einen Lachkrampf, wenn ich mir das dumme Gesicht vorstelle. So war es auch eben.
Die Sache mit dem Rauchkörper in der Antonow passierte beim Trainingssprung zu unserem Programmpunkt. Wir sollten zusammen mit den Magdeburgern einen sogenannten Fächersprung machen. Dahinter verbarg sich folgendes: Aus zwei parallel fliegenden An-2 springt in 2000m jeweils eine Gruppe a‘ 10 oder 12 Mann, links Magdeburg mit Rauchkörper rot, rechts Neustadt mit Rauchkörper blau. Zehn Sekunden liegen alle in Flugrichtung, drehen um 90°, tracken dann und kreuzen die Flugbahn der anderen Gruppe, so dass bei Öffnung Magdeburg rechts und Neustadt links hängt. Wer das ersonnen hat, weiß ich nicht mehr, von unten soll es dann aber nicht schlecht ausgesehen haben.
Die Sache sollte vorher zu mindestens einmal geübt werden. Die beiden Maschinen starteten und machten eine große Rechts- Biege über die Innenstadt. Als diese erreicht war, kam ein Schwachkopf von den Magdeburgern auf die Idee, an seinem Rauchkörper herumzufummeln und ihn vorzeitig zu zünden. Ruck- zuck war die Bude in diesem Fall rot und nicht blau. Die Besatzung machte die Tür zum Cockpit zu und überließ die Springer ihrem Schicksal. Diese hielten es nicht lange aus, da der Rauch doch ziemlich atemwegsreizend war. Man war- wie erwähnt- mitten über der Innenstadt in vielleicht 1000m oder tiefer. In den Zentren von größeren Städten sind ordentliche Landeflächen eher selten, also gab es eine Menge kniffliger Außenlandungen. So landete einer mitten auf dem vielbefahrenen Hasselbach- Platz, ein anderer in den Kistenstapeln eines Getränkehandels. Aber es ging ohne Verletzungen ab.
Uns, in der zweiten Maschine ging es auch nicht viel besser. Wegen des möglichst synchronen Abgangs sollte das Absetzkommando vom Boden aus gegeben werden. Der „Absetzer“ ließ sich alle Zeit der Welt (wahrscheinlich funkte er mit der Anna der Magdeburger), so dass wir viel zu weit draußen über einem riesigen Maisfeld westlich der heutigen B 71 waren, als das Kommando ertönte. Ich hatte als erster Springer noch Glück und schaffte es gerade noch so über die Straße und den Zaun auf den Platz. Der Rest ging fast ausnahmslos in den Mais, der im August doch schon recht hoch war. Sich dort herauszuarbeiten war eine schweißtreibende Angelegenheit.
Der ursprünglich geplante zweite Trainingssprung musste ausfallen. Während sich die eine Truppe aus dem Maisfeld herauswühlte und unter dem Gelächter der Springer aus den anderen Bezirken reichgeschmückt mit Maisblättern aber mit hängenden Ohren und durchgeschwitzten Klamotten auf den Platz zurückkehrte, war die andere auf dem Heimweg aus der Stadt um anschließend die Maschine und sich selbst zu reinigen; beide (Maschine und Springer nebst Schirmen) sahen aus, wie nach einem Blutbad.
Am Tag des eigentlichen Ereignisses und vor einer Menge Zuschauer (es war von 200.000 die Rede) klappte die Sache trotzdem und soll wie gesagt recht eindrucksvoll gewesen sein.
Der springerische Programmteil endete dann mit dem beliebten Massenabsprung. Ich weiß nicht mehr genau, ob es 6 oder 8 Antonow waren, auf jeden Fall war eine Menge Schirme in der Luft.
Ich erinnere mich auch noch an einen sehr lautstarken Programmpunkt, den Start einer MIG- 21 mit Starthilfsraketen. Als der Pilot diese Dinger zündete, gab es ein beeindruckendes Feuerwerk, begleitet von einem wahrhaft infernalischen Gedonner. Allerdings musste man bei der Aktion etwas bescheissen. Als die Maschine nämlich am Vortag auf dem holperigen Rasenplatz gelandet war, brach das Bugfahrwerk. Also wurde sie (die Maschine) nachts mittels Tieflader abtransportiert und auf gleichem Wege heimlich durch eine einsatzbereite ersetzt.
Anlass der ganzen Veranstaltung war die Wehrspartakiade der GST. Die Neustädter Mannschaft wurde- wie dann auch in den Folgejahren- von Kalle als „Chef de Mission“ angeführt. Teilnehmer waren lt. Kuddel: Dieter Schulz genannt „Kotzer“, Dietmar Beckmann, Matthias Horn und Joseph Mikula. Bei den sonstigen Disziplinen waren sie wohl eher mäßig, belegten aber im Gruppenzielsprung den ersten Platz. Zu seinen unappetitlichen Spitznamen war der Dieter u.a. dadurch gekommen, dass er mir einmal in der Maschine, als ich gerade wegen Absetzerei aus der Tür guckte, von hinten in die Hacken kotzte. Er hatte am Vorabend wohl das eine oder andere Bier zu viel getrunken. Ein zweites Mal wurde er in dieser Beziehung auffällig, als er beim Wettkampf nach dem 3000m- Geländelauf scheinbar Blut spie. Kurt hatte richtig Schiss. Dann stellte sich aber heraus, dass es sich um rote Weintrauben handelte, die „der Kotzer“ im Übermaß in sich hineingestopft hatte und die nun wieder ans Tageslicht wollten.
Dass ich mit einer gewissen Schadenfreude über eine weitere Panne der Magdeburger in jenem Jahr berichte, hängt mit deren ziemlicher Großfressigkeit zusammen. Wie alle Bewohner größerer Städte betrachteten sie die einfachen Hengste von Lande mit einer gewissen Geringschätzung und hielten sie für durchweg unterbelichtet. Umso größer war die allgemeine Freude, als sie plötzlich die Deppen waren. An dem bewussten Tag- es ging schon in Richtung Sonnenuntergang bzw. Sunset- wollten sie in allerletzter Minute noch schnell einen Gruppensprung aus 600m machen. Also rein in die Kiste, eine Biege auf 600m, alle raus und alle rein, nämlich in den Wald. Der erste Springer an der Tür war zwar der schwerste, aber nicht der blickigste. Er sprang viel zu spät und die anderen hinterher. Am Schluss hingen alle in den Kiefern in Richtung Forsthaus Wabel und alsbald schallte der fröhliche Klang von Äxten und Sägen durch den sonst stillen Tann. Es dauerte ein paar Stunden bis alle gesucht, gefunden und geborgen waren. (Hier passt auch noch mal Bild 11).Jetzt wird es ein bisschen persönlich und auch politisch. Wer darauf keine Lust hat, kann die folgenden Absätze überspringen und gleich mit Kapitel 6 weitermachen.
Das Saisonende 1975 war für mich nicht lustig, da mir mitgeteilt wurde, dass ich zukünftig für den Flugsport nicht mehr zugelassen würde. Das war ab 1962 erforderlich. Wie damals üblich, gab es keinerlei Begründung. Es war aber klar, dass diese Sperre eine Folge des Fernflugs Neustadt- Hamburg- Fuhlsbüttel des Kameraden Bader aus Stralsund im Vorjahr war (s. Kapitel 4).
Auch beruflich traf es mich. Ich arbeitete damals beim VEB (Volkseigener Betrieb) Bohrlochmessung in Gommern nahe Magdeburg, also in der Erdöl- und Erdgaserkundung. Da in dieser Branche alles streng geheim also „top secret“ war, brauchte man eine sogenannte VS- Genehmigung, d. h. die Erlaubnis mit Vertraulichen Verschlusssachen, also den allergeheimsten Geheimnissen arbeiten zu dürfen. Plötzlich und unerwartet war diese auch weg, natürlich auch ohne Begründung.
Zwischen beiden negativen Ereignissen bestand wahrscheinlich oder sicher ein Zusammenhang. Bei der Durchleuchtung meiner Person waren die Genossen des für solche Fragen zuständigen staatlichen Organs (MfS/Stasi) wohl zu der Einschätzung gelangt, dass ich ein unsicherer Kantonist sei, also nicht auf der Linie von Partei und Regierung außerdem geneigt, bei passender Gelegenheit die Fliege zu machen. Was den ersten Punkt betraf, lagen sie schon richtig, beim Punkt 2 nicht. Schließlich hatte ich Familie und war nun einmal ein bodenständiger Heimscheißer.
Der Entzug der VS- Genehmigung kam einem Berufsverbot gleich, soweit es die Erdöl-/ Erdgaserkundung betraf, in der ich 10 Jahre gearbeitet hatte. Ich musste mir einen Job in einer Branche suchen, in der es keine so hohen Sicherheitsanforderungen gab und in der so ein krummer Hund wie ich noch unterkommen konnte. Das war die Baustoffindustrie. Ich hatte Glück, fand einen neuen Job in der Nähe von Rostock als Betriebsgeologe, musste mich aber völlig neu einarbeiten. Es war ungefähr so, als wenn ein Arzt für Frauenheilkunde auf Chirurgie umsteigen muss.
1975 gab es auf dem Platz noch eine Sache, die auch „politisch“ war, allerdings nicht die Springerei sondern die Technik betraf. In jenem Jahr hatte sich ein Wessi mit seiner Cessna verflogen. Er war wohl in Dänemark gestartet und fand sich bei schlechtem Wetter orientierungslos über dem schönen Mecklenburger Land wieder. Als er unter sich einen großen Flugplatz sah, landete er. Es war Parchim und das Bodenpersonal sprach russisch. Irgendwann kam er wieder frei, das Maschinchen blieb aber erst mal stehen. Die Neustädter Mechaniker wurden nun mit der Rückführung beauftragt. Überführungsflug nach Parchim ging wegen fehlender Erlaubnis für Cessna nicht, so dass die Kiste demontiert, per Tieflader zum Platz transportiert und in der Ziegelhalle erst mal deponiert werden musste. Bis es für das Flugzeug endgültig in Richtung Heimat gehen konnte, war eine Menge innerdeutscher diplomatischer Verhandlungen erforderlich. Nach einigen Wochen ging es dann wieder auf den Tieflader und mittels dessen in die Heimat. Dank der damaligen politischen Lage wurde also aus einem Problemchen, das man mit einem Überführungsflug von 20 Minuten hätte lösen können, eine Haupt- und Staatsaktion.
Kapitel 7: 1976 Sprünge ins Wasser und Zwangspause
Natürlich ging es auch ohne mich weiter und das sogar richtig gut, ein Umstand der mir im Nachhinein eigentlich zu denken geben sollte. Neben dem üblichen Sprung- und Ausbildungsbetrieb hatten Kurt und Heinz Wolf (oder umgekehrt) Wassersprünge im Juli im Neustädter See organisiert (s. Bild 27). Kurt erwarb bei dieser Gelegenheit sogar die Lehrerlizenz für Sprünge in das kühle Nass. Anm.: Lt. Kalles Sprungbuch soll es aber bereits im Juni 1967 Wassersprünge gegeben haben und zwar in den Woker See in Parchim. Ich war nicht dabei, habe das auch irgendwie vergessen.Das Jahr sollte aber für die Neustädter Truppe noch einen großen Triumph in petto haben, nämlich den Mannschaftssieg beim Komplexwettkampf, der im September in Großrückerswalde bei Marienberg, also im damaligen Bezirk Karl- Marx- Stadt, stattfand.
Die Mannschaft, bestehend aus Ralf Brede, Siegmund Mücke, Jens Siomer, Peter Recke und Edmund Spieß erwies sich der Konkurrenz überlegen. Mannschaftsleiter war- wie beim vorigen Mal- Kalle.
Wolfgang Butschi Lachner fuhr als Schiedsrichter mit, was für ihn nicht folgenlos bleiben sollte. Schuld daran waren aber nicht irgendwelche gegnerischen Fans, die mit der einen oder anderen Entscheidung nicht einverstanden waren, sondern sein Wunsch nach sportlicher Betätigung am falschen Ort und zur falschen Zeit. Nach der entsprechend feuchten Siegesfeier trollte man sich- so die seriösen Augenzeugen- Richtung Quartier, als man plötzlich auf eine etwa 1m hohe Hecke stieß. Butschi überkam offenbar der unbezähmbare Wunsch, diese mit einem kühnen Satz zu überspringen. Was weder er noch seine Begleiter wussten, die Hecke fasste ein etwa 3m tiefes mit diversen Steinen garniertes Bachbett ein. Als er diesem Wunsch nachgab, war klar, dass ein längerer Krankenhausaufenthalt im benachbarten Marienberg fällig war. Die Liste der Schäden war lang und er musste noch einige Zeit im Sachsenland bleiben (s. Bild 30).
Es war übrigens sein letzter Sprung (wenn auch nicht mit dem Fallschirm), denn zum Saisonende traf auch ihn die Kadersense, wie mich ein Jahr zuvor. Er fand aber- was ähnlich halsbrecherische Aktionen der eben geschilderten Art betraf- würdige Nachfolger.
1976, evtl. aber auch schon im Jahr davor übernahm Heinz Wolf das Kommando über den Fallschirmsport im Zentralvorstand (ZV) der GST in Neuenhagen bei Berlin.
Horst Brendel hatte evtl. bereits an dem im Teil I genannten Marjutkin- Lehrgang teilgenommen, war aber schon Anfang der 60er- Jahre „aus dem aktiven Dienst ausgeschieden“ und zum ZV gegangen, wo er dem Fallschirmsport rund 15 Jahre vorstand. Er war nach der Wende beim DAeC in Braunschweig dort zuständig für Lizenzen. Ihn ersetzte nun glücklicherweise Heinz Wolf, zu dem Neustadt (und damit auch ich) einen guten Draht hatte.
Im ZV saß auch Dieter Strüber, der dort für die leistungssportliche Seite der Springerei verantwortlich zeichnete. Von Hause aus DHfK- Absolvent d.h. Diplomsportlehrer (Deutsche Hochschule für Körperkultur und Sport) hatte er so um 1960 rum mit der Springerei begonnen. Er versuchte, das Fallschirmspringen als Leistungssport voranzutreiben. Die in den vorherigen Kapiteln gemachten Angaben zu den neuen Schirmen stammen aus seinem Buch: „Abenteuer Fallschirmsprung“, das 1973 im Verlag XY erschienen ist. Dieter ist inzwischen leider auch schon verstorben. Heinz Wolf haben wir 2012 zu Grabe getragen.
Die nächsten Absätze sind nur scheinbar wieder privater Natur. Sie sind nicht zur Selbstdarstellung gedacht, sondern sollen deutlich machen, wie das System in „Kaderfragen“ funktionierte. Auch bei anderen Betroffenen ist es so, oder so ähnlich gelaufen.
Ich habe in jenem Jahr alles versucht, um wieder auf den Platz zu kommen. So habe ich im Sommer ein „Gnadengesuch“ an den Vorsitzenden des Bezirksvorstands der GST für den Bezirk Rostock gerichtet (liegt noch als Kladde in meinem Schreibtisch). Da es scheinbar vor allem um Westverbindungen ging, war es erforderlich diese klein zu reden. Der Vater meiner Frau (übrigens Hauptmann der Luftwaffe) hatte drüben gelebt, war aber inzwischen d. h. 1971 verstorben, so dass wir in dieser Richtung tatsächlich ziemlich sauber waren. Derartige Kaderfragen- heute würde man von Personalangelegenheiten sprechen- liefen in der Regel hinter geschlossenen Türen ab und waren vertraulich. Aber man hörte mal dies und auch mal das und aus diesen Bruchstücken könnte man sich als gelernter DDR- Bürger ein meist zutreffendes Bild zusammenbasteln.
Nach einiger Zeit tauchte bei uns zu Hause in Stralsund so ein betont unauffälliger Typ auf und stellte sich als Mitarbeiter des Bezirksvorstands der GST vor, was mich doch sehr wunderte, kannte ich doch die Leute, ihn allerdings nicht. Als ich ihn eines Tages zufällig in der Stadt (gemeint ist Stralsund) sah, folgte ich unauffällig seinen Spuren und siehe da, er betrat das Stasi- Kreishauptquartier im Frankendamm. Alles klar! War es aber eigentlich schon vorher, ich wollte es aber genau wissen.
Kurt hatte inzwischen auch gekurbelt und mir eine Beurteilung verpasst und an Heinz Wolf weitergereicht, an der man sich Hände und Füße wärmen konnte. Da er einen Teil der GST- Akten sichergestellt hat, ist das Ding noch vorhanden. Aus dem Aktenordner tropft immer noch der Honig. Ich war sozusagen eine Kerl wie Samt und Seide, fast würdig für den Vaterländischen Verdienstorden. Nun hieß es aber erst mal abwarten, denn gut Ding will bekanntlich Weile haben. Ich war aber irgendwie optimistisch, denn schließlich hatte ich einen sehr guten Draht, nicht nur zu Kuddel sondern auch zu Heinz Wolf. Es galt der alte DDR- Spruch: „Sozialismus ohne Beziehungen ist wie Kapitalismus ohne Kapital“.
Eine „einschneidende“ Veränderung des Jahres 1976 muss abschließend doch noch erwähnt werden: Es gab neue Sprungbücher. Richtig, die großen, grünen im Format 15 x 21cm quer, die teilweise noch im Gebrauch sind!
Kapitel 8: 1977 Erfolge über Erfolge
Dass ich irgendwann im Frühjahr plötzlich „begnadigt“ und wieder zum Flugsport zugelassen wurde, war für mich natürlich toll, für die Springerei in Neustadt aber ohne größere Bedeutung. Zwar gab es nun einen Lehrer mehr, es ging aber inzwischen auch ohne mich. Laut meinem Sprungbuch war ich ab Juni wieder dabei. Die Sache mit den Beziehungen hatte sich also bestätigt, denn es war klar, dass ohne Kuddel und Heinz Wolf ein derartiges Ergebnis nicht möglich gewesen wäre.
Sportlich war 1977 das Jahr der maximalen Erfolge für die Springer aus dem kühlen Norden. Unter der bewährten Führung von Kalle holten die Neustädter Jungs wieder den Sieg im Komplexwettkampf und zwar in Besetzung: Ulrich Kosicki, Hendrik Scharf, Wolfgang Riedel, Wilfried Meyer, Rene‘ Dohmke. Austragungsort war Friedersdorf (Bild 32). Damit nicht genug: Bei der Deutschen Meisterschaft in Magdeburg gewann Harmut Beutler die Gesamtwertung in der Amateurklasse außerdem wurde er Bezirksmeister (s. Bild 33).(Wegen der doch offensichtlichen Chancenungleichheit hatte man für die Profis von Dynamo und der GST- Auswahl einer- und den Leuten aus den Bezirken andererseits getrennte Wertungen eingeführt).
Außerdem begannen in jenem Jahr u. a. Dieter (Ede) Harke, Detlef Mohr genannt Mohrchen, Norbert Kögler (der aus Bienenfarm) und Frank (Schoko) Gaevert mit der Springerei, also auch von daher ein gutes Jahr (s. Bilder 37 und 38). Und zum guten Schluss was die positiven Nachrichten betrifft: Am 06.07-1977 bekam Neustadt eine eigene Antonow, nämlich die DM- WJL. Geflogen wurde sie von Klaus Barganz, Dr. Biedermann (Direktor des Lederwerkes in Neustadt, das auf den schönen Namen „August Apfelbaum“ getauft worden war) und dann auch Peter Wiedemann (zurück zu Bild 31).
Wie man damals als männlicher Jugendlicher zum Fallschirmsport kam, hat Schoko sehr anschaulich geschildert. Wir fügen seinen Bericht hier unverändert ein:
Angefangen hat Alles mit einer Werbeveranstaltung der GST-Kreisleitung im Januar 1977 im LMB Güstrow, welcher mein Lehrbetrieb war. Zweck war natürlich mehr Länger dienende (also 3 Jahre) zu werben. Dieses wurde dann in einem doch sehr pompösen Film- und Vortragsgeschehen im zentralen Unterrichtsraum der Lehrwerkstatt ausgerichtet.
Angesprochen(betroffen)waren alle Lehrlinge des 1.Lehrjahres.Logisch,denn die sog. vormilitärische Laufbahnausbildung begann ja schon zu diesem Zeitpunkt. Militärkraftfahrer;Marinespezialist;Funker;Fallschirmjäger..
Halt...Moment mal... Fallschirmjäger?!
Na das wär doch was, sportlich gut drauf, ein kurzes Intermezzo in der Sportschule?, das sollte doch wohl reichen.
Nach Ende dieser Veranstaltung wurde kurioserweise, jeder einzelne Lehrling durchs Lehrmeisterbüro geschleust, um jeden zu einer Stellungnahme zum 3-järigen Wehrdienst zu befragen(bedrängen?)
Bei mir reichten kurioserweise die 30m-Wegstrecke aus um einen Entschluss zu fassen, der nun doch weitreichende Folgen für meinen weiteren Lebensweg haben würde.
Rein ins Büro,3 Jahre ja, dann aber Fallschirmjäger. Gesagt getan, alles klar,Unterschrift, Sack zu !
Es gab auch keinerlei Nachfragen des Gegenüber und alles war in gefühlten 30,7 Sekunden erledigt.(dachte ich :-) )
eine Woche später:
Post vom WKK : Sie haben sich entschlossen.......etc. pp. Nanu was geht jetzt denn los? Vorgespräch; Flugplatz Güstrow
Termin(? jedenfalls sehr kurzfristig).Melden beim FP Leiter Kam. Krause. Na denn mal los!!!
Hin zum Flugplatz rein, zum(Manne)Krause. Wer sitzt da,Harald Kurbjuweit(der erste Name der mir da so einfällt)einer aus meiner Lehrklasse. Na, nun war ich nicht ganz allein auf weiter Flur.
Hier wurde uns dann eröffnet, das wir umgehendst mit der Laufbahnausbildung beginnen müssten. Der erste Lehrgang Theorie und Fallschirmpacken beginnt jetzt im Februar auf dem Flugplatz in Neustadt-Glewe, Dauer eine Woche. Neustadt-Glewe, wo is dat denn?
Die Augen wurden immer größer: waaas jetzt schon???;man war zu diesem Zeitpunkt mal gerade zarte 16 Lenze.
Grad die Lehre begonnen und schon den Urlaub verbraten? Nein,nein beruhigte man uns hierfür wird man freigestellt und Reisekostenerstattung gibts obendrauf.
Na prima, wenn das so ist, kann es losgehen.
So oder so ähnlich lief das damals. Ede und Mohrchen gingen allerdings nicht zu den Fallschirmjägern sondern zum Fallschirmdienst. Das hatte den Vorteil, dass man weniger geschliffen wurde, dafür aber wesentlich mehr Sprünge machte.
Was Schoko zu den Reiskosten schreibt, galt nun auch für die ehrenamtlichen Lehrer. Neben dem Fahrgeld bekam man als solcher auch so eine Art Tagegeld.
Eine von den sonst üblichen Storys kann ich für 1977 nicht bieten. Es könnte aber durchaus sein, dass die Waldlandung der Magdeburger (s. Kap. 5) erst in jenem Jahr passierte. Ist aber eigentlich auch egal. Man darf aber keinesfalls daraus schließen, dass die Truppe irgendwie vernünftiger geworden wäre.
Aber eine Sache fällt mir doch noch ein: Im Zuge der vormilitärischen Ausbildung wurde auch geschossen und zwar mit der Kleinkaliber- Kalaschnikow. Dazu wurde nach Prislich (liegt an der Straße Ziegendorf- Grabow, also südlich des Platzes) gefahren und der Rückweg- zur Freude fast aller Beteiligten- zu einem schönen 12km- Geländelauf zum Platz genutzt.
Kapitel 9: 1978 „Militarisierung“
Mit Jahresbeginn kam über den gesamten Flugsport (und damit auch über die Springerei) großes Ungemach in Person von Generalmajor Baustian und seinem Stellvertreter Oberst Dietrich, wegen häufiger Verwendung des Wortes „pünktlich“ in seiner sächsischen Form landläufig auch Oberst Pinktlich genannt. Die beiden waren durch die „Partei- und Staatsführung“ wohl zur GST abkommandiert worden, um diesen schlampigen Haufen so richtig auf Vordermann zu bringen. Dieser Aufgabe widmeten sie sich mit großem Engagement, nach dem Geschmack der Betroffenen mit zu großem. Oberst P. wird am besten durch einen Ausspruch charakterisiert, den er lt. Kuddel bei der ersten gemeinsamen Dienstberatung von sich gab: „ Wer zu blöd ist, sich das zu merken, muss es sich eben aufschreiben. Ich mach das schon seit 20 Jahren!“ Noch eine Frage?Eine der ersten Maßnahmen war die Uniformierung der Hauptamtlichen. Die kriegten so eine komisch blaugraue Uniform mit Planstellenmütze, außerdem einheitliche Dienstbekleidung aus NVA- Beständen. Die Klamotten waren unter allen Umständen zu tragen und das ohne jede Marscherleichterung. Unkorrekte Kostümierung zog gleich einen mittelschweren Anschiss nach sich (s. Bilder 35/36). Das führte dazu, dass z. B. bei der Wehrspartakiade 1978 in Halle - Oppin, die Leute von der NVA (Piloten und Mechaniker) wegen großer Hitze im T- Shirt oder sogar mit bloßem Oberkörper herumliefen, die Deppen von der GST aber mit geschlossenem obersten Hemdenknopf und langen Ärmeln schwitzen mussten. Die Jungs von der NVA wussten schon, weshalb sie die beiden abgestoßen hatten.
Neben der Uniformierung kam es auch so einem immer mehr ausuferndem Papierkram. Davor ging es bei den Springern doch sehr leger zu (s. Bild 34).
Die ehrenamtlichen Lehrer traf es insofern, als zu Saisonbeginn erst mal Überprüfungssprünge mit dem Schülerschirm (RS- 4/4c) zu machen waren, davon einer mit zusätzlicher Öffnung des Ersatzgerätes. Das war aber erträglich.
Für Neustadt wurde eine Stelle für einen zweiten hauptamtlichen Fallschirmsprunglehrer genehmigt. Diese besetzte Hartmut Beutler. Bei seiner Anstellung gab es allerdings Probleme, weil sein Betrieb ihm eine nur mäßige Beurteilung gegeben hatte. Das betraf nicht seine Arbeitsleistung, sondern z. B. den Vorwurf, dass er sich am 1. Mai geweigert hätte, die obligatorische Mai- Nelke aus Papier zu kaufen. Kein Witz!! Aber schließlich klappte es doch und H. konnte im August seine Tätigkeit aufnehmen.
Den Komplexwettkampf gewann 1978 welche Mannschaft? Natürlich wieder die aus Neustadt und wieder unter Führung von Kalle, dieses Jahr allerdings in der Besetzung Detlef Mohr (kennen wir doch), Hartmut Bierhals, Dieter Starke, Olaf Steinbeiß, Bernd Simon. Das wurde langsam eine Serie.
Zum Jahresabschluss gab mit dem RL- 10 den ersten Gleiter, auch für die Bezirke. Diese (die RL- 10) wurden noch mit Ersatzgerät vor der Brust gesprungen und hatten statt eines Sliders eine Reffleine zur Öffnungsverzögerung.
Als Folge der „Militarisierung“ gab es im Winter 1978/79 eine weitere Änderung: Die Pack- und Bodenausbildung sowie die Theorie fanden für alle neuen Laufbahnbewerber (so nannte man damals die Sprungschüler) zentral in Schirgiswalde statt. Das liegt in der Oberlausitz.
In Schirgiswalde existierte ein Zentrales GST- Lager. In diesen Lagern fand sonst die allgemeine vormilitärische Schulung statt, die für alle männlichen Lehrlinge im Rahmen ihrer beruflichen Ausbildung obligatorisch war. Kuddel musste die ganze Aktion organisieren, sein Assistent war Hartmut.
Kapitel 10: 1979 Die drohende Katastrophe
Im Frühjahr bahnte sich für mich ein echtes Problem an. Meine Mutter hatte sich entschlossen, zu ihrer Schwester nach Westberlin zu ziehen und einen entsprechenden Antrag gestellt. Da sie Rentnerin war, gab es für sie keine Probleme. Im Gegenteil, man rollte quasi den roten Teppich für sie aus, denn einerseits sparte man zukünftig die Rente und andererseits war zu erwarten, dass die eine und andere Westmark in Richtung Stralsund fließen würde, wo ich damals wohnte. Was das für meine Springerei bedeuten würde, war klar. Mutter im Westen war ein absolutes Ko- Kriterium. Da half auch der gute Draht zu Kuddel und Heinz Wolf nichts mehr. Weil die Ausreise erst im August erfolgen sollte, hatte ich noch ein paar Monate Galgenfrist. Von April bis Ende Juli konnte ich noch 20 Sprünge machen. Dann war mit 543 erst mal Schluss (s. Bild 41).Es traf aber in jenem Jahr auch noch andere, wie zum Beispiel Helmut Pieske, der aus ähnlichen Gründen (Westkontakte) ebenfalls aussortiert wurde.
Der Rest wird mich/uns eventuell oder sicher bemitleidet haben. Sie wussten zu dem Zeitpunkt aber nicht, dass es bald auch über sie hereinbrechen würde, nämlich das Unglück. Wie in der DDR üblich, passierte dieses plötzlich und unerwartet, d. h. ohne jede Vorwarnung. Man denke nur an den Mauerbau oder die gleichfalls völlig überraschende Schließung von Purkshof (s. Teil I Kap. 3).
1979 war auch das letzte Jahr, in dem Willi Krause in Neustadt gesprungen ist (s. Bild 39 und 40). Er war inzwischen vom Fallschirmdienst zur Zieldarstellungskette gewechselt. Dort musste er vom Heckschützenstand der IL-28 aus das Schleppziel ein- und ausfahren. Ein absolut ruhiger Job, der aber einen Pferdemagen erforderte. Er beendete bald darauf seine Dienstzeit bei der NVA und auch seine Springerlaufbahn und ward nicht mehr gesehen. Gewöhnlich gut informierte Kreise berichteten, dass er zur Fischerei gegangen sei.Inzwischen war es Ende August geworden und die Neustädter Truppe bereitete sich auf weitere Lehrgänge sowie den bevorstehenden Komplexwettkampf vor, der in Halle- Oppin stattfindet sollte. Es war wie in dem Gedicht von Theodor Fontane „John Maynard“: „Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei, da tönt aus dem Schiffsraum her wie ein Schrei:“ Nur war es in diesem Fall kein Schrei aus dem Schiffsraum sondern das Klingeln des Telefons im Büro von Herbert Hackel, dem Chef des BAZ (Bezirksausbildungszentrum), wie der Platz in Neustadt damals offiziell hieß. Am Apparat war der Zentralvorstand der GST in Neuenhagen bei Berlin, evtl. auch die Flugüberwachung und eine Stimme verkündete kurz und trocken, dass jeglicher Flug- und Sprungbetrieb im Rahmen der Gesellschaft für Sport und Technik ab sofort und auf unbestimmte Zeit untersagt sei!!
Weder Kuddel noch ich hatten eine Idee, welches Vorkommnis diese Pleite am Schluss ausgelöst hat und wann die Sperre tatsächlich eintrat. Wir grübelten wie die Maikäfer, kamen aber zu keinem Ergebnis. Das änderte sich erst, als Kuddel in seinen Bücherschrank sah und dort „Frust und Freude, die zwei Gesichter der GST“ entdeckte, herausgegeben von Ulrich Berger und erschienen im GNN Verlag. Dieses (das Buch) enthält auch einen Beitrag von Hartmut Buch, bereits zu tiefsten DDR- Zeiten Chefredakteur der Fliegerrevue.
Der hat die damaligen Ereignisse etwa wie folgt geschildert:
Ende August flüchtete ein Leipziger Motorflieger mittels einer WILGA nach dem Westen. Damit nicht genug, er machte unterwegs eine Zwischenlandung und sackte auch noch seine Ehefrau ein. Die Sache wurde -entsprechend dem damals üblichen Verfahren- direkt Erich Honecker gemeldet, der umgehend Armeegeneral Heinz Hoffman (Chef der NVA) antreten ließ, mit der Aufforderung, die GST endlich mal auf Vordermann zu bringen. (Es hatte in den Monaten zuvor wohl schon einige derartige Vorfälle gegeben, die aber nur teilweise der jetzigen Übeltäterin anzulasten waren. Diese neue Absetzbewegung aus dem Bereich des Motorflugs der GST brachte das Fass nun aber endgültig zum Überlaufen). Hoffmann schiss Teller, den GST- Chef zusammen und dieser gab den Anschiss ungefiltert an Baustian weiter. Das soll lt. H. B. am 31. August passiert sein und wohl noch am selben Tag wird dann erst mal prophylaktisch die Flugsperre verkündet worden sein.
So könnte es gewesen sein. Das klingt alles logisch. Der Verfasser hatte naturgemäß einen sehr guten Draht nach Neuenhagen und ist deshalb als sehr verlässlicher Zeitzeuge anzusehen.
Als die Flugsperre auch in den nächsten Tagen und Wochen nicht aufgehoben wurde und aus dem Hauptquartier in Neuenhagen per Buschfunk die beunruhigende Nachricht durchsickerte, dass man höheren Ortes durchaus auch darüber nachdachte, den ganzen Flugsport einfach dicht zu machen, war erst mal Heulen und Zähneklappern angesagt.
Das betraf vor allem natürlich die Hauptamtlichen, deren berufliche Existenz nun auf der Kippe stand. Die saßen dann erst mal unter dem Weihnachtsbaum in völliger Unkenntnis, ob es überhaupt und wenn ja, wie es weitergehen würde. Eine verteufelte Situation, natürlich auch für die Ehrenamtlichen, denn mit der Flieger- und Springerei wäre es dann wohl endgültig vorbei gewesen.
Damit sind wir am Ende des zweiten Teils. Wie es weitergegangen ist, erfährt man erst in einem dritten, der aber wohl frühestens im nächsten Winter zu erwarten ist.
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